Rolf

- HC, 320 Seiten

Rolf
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Yannic Niehr
691001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2021

Die Geister, die ich nie rief …

Eigentlich scheint es für Philipp ganz gut zu laufen: Er ist in seinen Dreißigern, schaut gut aus, ist vor Kurzem mit seiner Freundin Amanda in die Vorstadt gezogen, hat eine ihn liebende Mutter und nette (wenn auch etwas exzentrische) Schwiegereltern in spe, sowie einen guten Bürojob - alles geht gediegen seinen Gang. Doch dann kommt es zum Bruch in seinem Leben: Nachdem er es bei einem Festival, das er gemeinsam mit dem besten Freund Temo besuchte, etwas übertrieben hat, leidet Philipp plötzlich unter Angstgefühlen und Halluzinationen. Und schon bald meldet sich ein vorlauter, fieser Dämon namens Rolf zu Wort, den nur Philipp sehen kann und der langsam, aber sicher die Kontrolle über dessen Leben an sich reißt. Rolf wächst und gedeiht – und ihm scheint daran gelegen, vor allem Philipps schlechteste Seiten zu kultivieren. Nun ist intensives „soul searching“ angesagt – denn Rolf droht Philipp mit Haut und Haar zu verschlingen …

„Deine Mutter ist eine lächerliche Wahnvorstellung!“

Andri Hinnens Lebenslauf liest sich fast so turbulent wie dieses Buch: Studium der International Affairs, Strategie und Internationales Marketing; Mitarbeit in Werbeagenturen; Geschäftsführung von Zense (Storytelling Visualization Sensemaking); Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen; Kurzfilmschaffender; und nun auch noch Romanautor! Beim Lesen von Hinnens Romandebut schreit es einem dann auch zwischen jeder Zeile entgegen, dass man es hier mit einem kreativen Kopf zu tun hat. Trotz guter Ansätze fehlt es Rolf aber leider dann doch ein wenig an Substanz.

– „Ich habe dir vertraut …“

– „Was am Dämonentum hast du nicht verstanden, Alter?“

Die Grundidee des ureigenen Dämons, der das Erwachsenwerden verhindert und einen davon abhält, im Leben voranzukommen, ist äußerst gelungen. Philipp lässt sich von Amandas Vater Gian Carlo - seines Zeichens Psychiater - analysieren und schluckt die ein oder andere Pille, spürt dem Trauma des Vaters nach, der ihn und seine Mutter vor langer Zeit einfach hat sitzen lassen, sucht die weise alte Akupunkteurin Hua Tao auf und reist schließlich in sein Innerstes, um wieder mit sich selbst in Kontakt zu treten und sein „spirit animal“ für den Kampf gegen Rolf zu gewinnen.

Das ist nicht nur eine spannende Versinnbildlichung des Leidensweges, den man zur Überwindung von Lebenskrisen oder psychischen Beschwerden gelegentlich unternehmen muss, sondern bringt auch das Lebensgefühl einer ganzen, nach Sinn und Perspektive suchenden Nachwuchsgeneration auf den Punkt. Fairerweise muss man Rolf dabei zugestehen, dass an ihm ja nicht alles schlecht ist: Der Dämon ist nun einmal ein Teil von Philipp, und nicht nur lernt auch er durch seine Symbiose mit diesem fürs Leben dazu – gelegentlich könnte man sich von seiner Impulshaftigkeit und seinem Durchsetzungsvermögen vielleicht sogar eine Scheibe abschneiden.

„Du und ich, wir sind jetzt ein Herz, eine Seele und eine Leber, Jungchen …“

Die Ausführung der Prämisse ist allerdings ausbaufähig. Die Figuren entbehren nicht eines gewissen Grundcharmes, bleiben aber flach und unnahbar. Das Buch untergliedert sich in 5 Teile und zahlreiche, knappe Unterkapitel (auch mal nur einen Absatz lang), wodurch sich ein gehetzter, holpriger Eindruck ergibt. Letztendlich ist der Roman etwas zu kurz geraten, als dass eine wirklich tiefe Verbindung zu den Charakteren und dem Thema aufgebaut werden könnte. Das ist insofern schade, als dass Hinnens Stil zwar eigenwillig, aber frisch daherkommt und immer wieder positiv damit überrascht, wie konsequent er sich weigert, ein Blatt vor den Mund zu nehmen (so liest sich z.B. die Beschreibung männlicher Figuren häufig wie das literarische Pendant zu Ralf Königs Karikatur-Kerlen). Trotz gelegentlich comichafter Überzeichnung vermeidet Hinnen es, ins Vulgäre zum Selbstzweck abzurutschen, und landet mit so manchem Satz einen echten literarischen Treffer. Und Rolf kann einem wirklich so manches echte Schmunzeln entlocken.  

Fazit

Andri Hinnens Debutroman dreht sich um einen spannenden Kern, an dessen Umsetzung es hapert. Auf jeden Fall ist dieses Buch durch und durch ein Unikat: Ob man so gar nichts damit anfangen kann oder sich stark darin wiederfindet, dürfte individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Wer einer speziellen, aber originellen Lektüre für zwischendurch nicht gänzlich abgeneigt ist (oder vielleicht seine eigenen kleinen Dämonen zu exorzieren hat), kann den Versuch wagen und sich ruhig mal auf Rolf einlassen.

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