Jesolo

  • Heyne
  • Erschienen: April 2021
  • 0

- TB, 224 Seiten

Jesolo
Jesolo
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Sandra Dickhaus
801001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2021

Eine Frau, die kein Kind möchte, aber dann doch in diese Rolle gezwängt wird

Ein Roman, der mitten ins Herz trifft und Wahrheiten ausspricht, die viele Frauen tief in sich tragen, da genau diese Denkweise nicht den Normen entspricht ...

Andrea ist eine Frau in den Dreißigern, die in einer festen Beziehung mit Georg steckt. Gerade ist dort etwas Flaute und Alltag eingekehrt. Das Paar ist sich auch nicht sicher, wie es in der Zukunft aussehen soll, denn Georg möchte das volle Programm: Zusammenziehen, Heirat, Kinder, Happy Family. Andrea kann sich damit nicht anfreunden, sie bevorzugt ihre Begeisterung im Job, die Freiheit zweier getrennter Wohnungen und die Kinderlosigkeit. Doch dann passiert es: Nach einem gemeinsamen Sommerurlaub in Jesolo stellt Andrea fest, dass sie schwanger ist. Georg freut sich, schmiedet Pläne, richtet sich gedanklich schon im Haus seiner Eltern zusammen ein. Andrea aber hat so ihre Schwierigkeiten, denn es gelingt ihr nicht, sich mit der Mutterrolle und den damit verbunden traditionell erwarteten, freudigen Gefühlen zu identifizieren. Sie willigt ein, bei ihren Schwiegereltern einzuziehen und das volle Problem abzuspulen. Wohl fühlt sie sich damit überhaupt nicht.

Ehrlich, ungeschönt und voller klarer Worte

Ehrlich und völlig ungeschönt erzählt die Autorin von einer Frau, die nicht sofort in ihre scheinbar in die Wiege gelegte Mutterrolle schlüpfen kann, die auch noch arbeiten möchte, wenn sie ein Kind hat und sich einsam fühlt, wenn sie allein mit ihrem Baby ist. Deutlich wird, dass sich nicht jede Frau in die Rolle einer Hausfrau und Mutter drängen lassen will. Andreas Schwiegermutter verkörpert die Generation, in der es um das Wohlergehen des Mannes und der Kinder geht, denen man alles nachträgt, die man bedient, die man selbstlos versorgt und sich als eigene Person dabei vergisst. Andrea kann das nicht; sie möchte auch noch ihr eigenes Leben leben. Georg kann sie dabei ganz vergessen. Er erzählt allen ganz stolz „Wir sind schwanger“ und spricht schon vom nächsten Kind. Andreas Bedenken, Sorgen und Ängste kann er überhaupt nicht nachvollziehen. Auch im Job bemerkt Andrea die Problematik, dass ihr ihre Stelle nicht freigehalten werden kann, wenn sie in Elternzeit geht. Dabei liebt sie ihre Position doch so. Zwischendurch hat man das Gefühl, Andrea hat mit ihrem Leben abgeschlossen, fügt sich dem Unvermeidlichen - doch sie lässt sich nicht brechen.

Gefühle, die nichts mit der Liebe zum Kind gemein haben, sondern mit einem Aufbegehren gegen gesellschaftlich festgesetzte Bilder

Ihre Gefühle haben rein gar nichts mit der Liebe zu ihrem Kind zu tun, sondern nur mit der Rolle, in die man als Frau hereingedrängt wird, ohne gefragt zu werden. Zwei Generationen kommen zu Wort, aber ob zwischen dem Leben und der Einstellung der Menschen in der Stadt und auf dem Land so ein großer Unterschied besteht, sei dahingestellt. Eindringlich vermittelt die Autorin, dass die Ratschläge, die auf eine schwangere Frau oder frischgebackene Mutter einschlagen, völlig widersprüchlich sind: Jeder weiß, was das Beste ist, urteilt, verurteilt und teilt ungefragt (Halb-)Wissen. Dass Andrea irgendwann ausbrechen möchte, ist doch klar! Georg ist sturköpfig, wünscht sich ein Leben wie das seiner Eltern, traditionell mit dem Heimchen am Herd. Er denkt, er könne seine Frau dazu überreden und es werde sich auch irgendwann gut für sie anfühlen.

Sichtweise der weiblichen Hauptfigur

Die Geschichte wird aus der Sicht Andreas erzählt. Sie spricht ihren Freund Georg immer direkt an, als würden sie sich gegenüberstehen. Doch all diese ehrlichen, unschönen Gedanken kann sie niemals so mit ihm teilen. Auch arbeitet sie ihr Verhältnis zu ihren Eltern auf, mit denen sie keinen Kontakt hat, und die Erinnerungen an ihre Mutter machen ihr zusehends zu schaffen. Andreas Erlebnisse werden nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt, mal gibt es Rückblenden, mal Flash Forwards. Das erfordert ein gewisses Maß an Konzentration beim Lesen. Ansonsten ist dies eine kurzweilige und eindringliche Geschichte.

Fazit

Eine starke Frau, die mit sich selbst, den gesellschaftlichen Ansprüchen und einer ungeplanten Schwangerschaft kämpfen muss. Löblich ist, dass sie das Kind trotz aller Zweifel bekommt und ungeschönt alle Situationen erzählt.

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