Hard Land

  • Diogenes
  • Erschienen: Februar 2021
  • 6

- Leineneinband, 352 Seiten

Hard Land
Hard Land
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Thomas Gisbertz
921001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2023

Wahrlich ein kleines Juwel!

Missouri, 1985: Um nicht die Sommerferien bei Tante Eileen und deren verhassten Söhnen verbringen zu müssen, nimmt der fast sechszehnjährige Sam Turner einen Ferienjob alten Kino „Metropolis“ an. Noch kann der Teenager nicht ahnen, dass er in den nächsten Wochen den schönsten und gleichzeitig schrecklichsten Sommer seines Lebens erleben wird. In diesen Ferien wird sich alles für den ängstlichen Sam verändern: Er findet endlich Freunde, er verliebt sich unsterblich in das wundervollste Mädchen und entdeckt die Geheimnisse seiner Heimatstadt Grady. Die Welt scheint Kopf zu stehen. Zum ersten Mal ist er kein unscheinbarer Außenseiter mehr. Sam feiert die Jugend, ist übermütig, mittendrin und fühlt sich unantastbar. Doch in diesem Sommer stirbt auch seine geliebte Mutter. Als dann auch noch seine neuen Freunde nach den Sommerferien die Stadt zum Studium verlassen, scheint die Zeit wieder langsamer zu laufen. Die bunten Lichter des Sommers verblassen, düstere Grautöne dominieren. Sam scheint wieder alles zu entgleiten. Doch er ist längst nicht mehr derselbe und die neue Realität zwingt ihn, erwachsen zu werden.

Deutscher Jugendliteraturpreis 2022

Der 1984 in München geborene Autor Benedict Wells ist trotz seiner noch jungen Jahre längst ein absolutes Schwergewicht der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bereits sein Debüt „Becks letzter Sommer“, das 2008 im Diogenes Verlag erschien, wurde mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Es folgten sein ursprünglich erster Roman „Spinner“, den er mit neunzehn geschrieben hatte, und „Fast genial“. Im Jahr 2016 erschien sein vierter Roman „Vom Ende der Einsamkeit“, der über achtzig Wochen auf der Bestsellerliste stand. Er wurde u.a. mit dem „European Union Prize for Literature“ prämiert und in bisher 38 Sprachen übersetzt. Nach einem Band mit Kurzgeschichten folgte 2021 der fünfte Roman „Hard Land“, der den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt. Nun erscheint die Taschenbuchausgabe des Bestsellers. Die perfekte Lektüre für den Sommer.

Sehnsucht nach dem Leben

Man würde den Roman bei Weitem unterschätzen, wenn man ihn als reines „Jugendbuch“ bezeichnet. „Hard Land“ ist weitaus mehr: Der Roman ist grandios konzipiert und unendlich vielschichtig. Es ist ein Roman über das Erwachsenwerden, über Familie und Freundschaft, aber auch eine Ode an die Heimat, den Ort, an dem man glücklich ist.

Das Besondere ist, dass „Hard Land“ stets den richtigen Ton trifft. Der Roman ist mal abgrundtief traurig und bewegend, aber schon wieder auf der nächsten Seite humorvoll und unendlich schön. Dieses Wechselbad der Gefühle ist es, was nicht nur die Jugendzeit, sondern auch den Roman ausmacht und ihn so nah an den Leser rückt, weil die Geschichte derart real wirkt. Die Vergänglichkeit steckt bereits in jedem schönen Moment, den man erlebt. Dies wird Sam in diesem Sommer zum ersten Mal richtig bewusst.

Wells verdichtet seinen Roman immer wieder stark. Kaleidoskopartig durchleuchtet er die Teenagerzeit und lässt dabei Liebe und Tod als untrennbare Einheit erscheinen, durch die Sam die Tür zum Erwachsenensein durchschreitet. Der Schmerz und das Leid sind hierfür ebenso notwendig wie die Liebe und das Erkennen der eigenen Sexualität. Die Welt in der Kleinstadt Grady weitet sich mit einem Mal für Sam. Dazu gehört aber auch, dass er sich dem Verlust der Mutter stellen muss. Jede Veränderung scheint ihren Preis zu haben. Um erwachsen zu werden, muss der Teenager seine Kindheit hinter sich lassen: „Kind sein ist wie einen Ball hochwerfen, Erwachsenwerden ist, wenn er wieder herunterfällt.“ Doch Sam hofft vergebens, dass sein Ball noch ewig in der Luft bleiben wird.

Genau diese fein austarierte Balance zwischen dem Verlust der Kindheit und dem Beginn des Erwachsenenseins macht „Hard Land“ zum besten Coming-of-Age-Roman der letzten Jahrzehnte, der es mühelos mit den großen Klassikern aufnehmen kann.

Mehr als nur ein Sommer

Sprachlich ist der Roman einfach beeindruckend: gradlinig, direkt, erschütternd, humorvoll, bewegend und unglaublich empathisch. Man spürt als Leser die Sonnenstrahlen, riecht das Popcorn im Kino und sieht sich wieder mit Freunden am Seeufer liegen. Die Geschichte um Sam und seine Freunde endet aber nicht mit dem Sommer, sondern der Autor zeigt auch, was danach kommt, was hängen bleibt. Dieses Hinter-den-Vorhang-Blicken ist nicht nur ein zentrales Element der Wells-Romane (u. a. „Becks letzter Sommer“), sondern auch zwingend notwendig für diese Adoleszenz-Geschichte. Es verdeutlicht, dass der Übergang zum Erwachsenenleben keinen Moment darstellt, sondern ein langer Weg ist.

Es geht im Roman vor allem um Sehnsucht, Begehren, Unbeschwertheit, Glück, Mut, aber auch um Verlust, Einsamkeit und Trauer. Dies alles ist Teil des Lebens. Auch wenn einiges in der Geschichte vorhersehbar ist, da sie auch eine Hommage an bekannte Filme wie „Stand by me“ (1986), „Ferris macht blau“ (1986), „Zurück in die Zukunft“ (1985) oder „Breakfast-Club“ (1985) darstellt, beschreibt Benedict Wells die Wandlung seines Protagonisten in unfassbar starken Bildern, die lange nachhallen. Er lässt ihn zweifeln, wütend werden über den schmerzvollen Verlust seiner Mutter und in der Sehnsucht nach seiner großen Liebe Kristie die schönsten Songs schreiben. So schmerzhaft schön ist die Jugendzeit - und so schreibt nur Benedict Wells.

Fazit

Autor Benedict Wells weckt mit seinem Roman „Hard Land“ nicht nur Erinnerungen, sondern lässt uns die Jugendzeit und das erste Verliebtsein ein zweites Mal durchleben. Wer den Roman liest und nicht weint, laut lacht und Gänsehaut bekommt, der weiß nicht, was Jugend bedeutet und was man als Erwachsener verloren hat. Ein Buch, das einen nicht mehr loslässt.

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