Die Harfenspielerin

  • Ullstein
  • Erschienen: September 2021
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- OT: Toner fra en stille skog

- aus dem Norwegischen von Sylvia Kall

- TB, 416 Seiten

Die Harfenspielerin
Die Harfenspielerin
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Monika Wenger
851001

Belletristik-Couch Rezension vonNov 2021

Eine Einzelgängerin findet nach Schicksalsschlägen mit Hilfe der Musik ihren Weg zurück ins Leben

Ane Solingen ist auf dem Eichmeisterhof bei ihren Verwandten aufgewachsen. Ihre Eltern sind vor Jahren tödlich verunglückt. Im Alter von sechzehn steht sie ohne Dach über dem Kopf da. Sie findet bei Hans in der Abgeschiedenheit von Storvelta Unterschlupf und nach einer Weile auch ihr Glück. Gerade als Ane feststellt, dass sie ein Kind erwartet, verunglückt Hans tödlich. Mit Hilfe des Harfenspiels findet Ane wieder zu sich - und zurück ins Leben ...

Im Einklang mit der Natur

Ane Solingen steht im Alter von sechzehn Jahren ohne ein Dach über dem Kopf da. Seit ihre Eltern vor Jahren im Frühjahr auf dem Eis eingebrochen und dabei gestorben sind, ist sie bei ihrer Tante Molla auf dem Eichmeisterhof. Doch das ist nun vorbei. Sie findet Unterschlupf bei Hans auf Storvelta. Es dauert jedoch seine Zeit, bis aus den beiden Einzelgängern ein Paar wird. Der Hof ist abgelegen, und nur selten verirrt sich eine Menschenseele in diese Gegend. Doch Ane und Hans genügt dieses einfache und arbeitsame Leben.

Als Hans eines Tages nicht wie gewohnt aus den Bergen zurückkehrt, macht sich Ane auf die Suche - und findet ihn tot im steinigen Gelände.

Tiefe Trauer und neues Leben

Allein mit ihrer endlosen Trauer stellt Ane fest, dass sie schwanger ist. Sorgfältig beginnt sie, ihr Leben für sich und das Kind auf Storvelta zu planen. Unterstützung erhält sie von Alvar Bagge, dem schwedischen Pfarrer, der immer mal wieder auf dem Hof auftaucht, bevor er seinem Freund, Pfarrer Lund, im Dorf einen Besuch abstattet.

     «Alvar war nett und meinte es gut, aber sie wurde aus ihm nicht schlau. Manchmal schlug er einen bevormundenden Ton an und setzte einen strengen Blick auf, was ihr nicht gefiel, doch im nächsten Augenblick konnte er sanft und rücksichtsvoll sein und etwas unbeholfen.»

Alvar versorgt Ane bei diesen Gelegenheiten auch immer mit Lebensmitteln und verschiedensten Gebrauchsgegenständen. Seine Besuche bringen Abwechslung in den Alltag, und eines Tages findet sich sogar eine Harfe in seinem Gepäck. Ane erweist sich als Naturtalent beim Harfenspiel und blüht mit der Musik auf.

Ganz allein bringt Ane in der Abgeschiedenheit von Storvelta einen Sohn, Jørgen, auf die Welt. Die Kontakte zu den Dorfbewohnern halten sich weiterhin in Grenzen, ist sie doch eine Außenseiterin. Doch hat Ane unterdessen Freundschaft mit Kajsa und Reidar aus dem benachbarten Weiler geknüpft. Sie unterstützen die kleine Familie, und als Jørgen im Alter von vier Jahren spurlos verschwindet, erweisen sich die beiden als große Stütze für Ane. Die Suche nach ihrem kleinen Sohn führt Ane weg aus Norwegen in eine ungewisse Zukunft. In diesen schweren Zeiten hält das Harfenspiel Ane aufrecht, und mit ihm findet sie Trost und Kraft.

«So hatte sie gelernt, mit stummen Fragen zu leben. Sie hängte sie im Herbst in den Erlen auf, damit sie zittern, ihre Farbe verändern und verwelken konnten, ehe der Winter kam. Im Frühling, zu der Zeit, als ihre Eltern ins Eis eingebrochen und ertrunken waren, sprossen die Fragen aufs Neue hervor.»

Laila Brenden erzählt mit diesem Roman die Geschichte einer naturverbundenen Einsiedlerin, die durch einen Schicksalsschlag ihre Heimat verlassen muss und sich plötzlich in einer großen Stadt wiederfindet. Eindrücklich und bildhaft beschreibt sie die Abgeschiedenheit, in der ihre Protagonistin lebt. Ihre Wanderungen durch die Wälder, die Sommerabende im Moor, die blauen Stunden auf einer Wiese lassen wunderschöne Bilder im Kopf entstehen. Die Autorin vermittelt aber auch Einblicke in die Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Norwegen. Die lieblose und arbeitsreiche Kindheit der Hauptfigur bei ihren Verwandten, das ablehnende Verhalten der Dorfbewohner und auch das des Pfarrers berühren. Präzise zeichnet die Autorin das Bild einer Dorfgemeinschaft, die sich das Maul über die junge Frau zerreißt, ihr gleichzeitig aber keine Hilfe anbietet. Indessen scheinen die Menschen ganz genau zu wissen, was sich gehört und wozu die junge Frau nicht in der Lage zu sein scheint. Die kraftvolle Sprache, die Darstellung der Charaktere sowie die umfangreichen Beschreibungen über das einfache Leben in der Abgeschiedenheit tragen zum Lesevergnügen bei und verstärken die gewonnenen Eindrücke.

Die Geschichte ist spannend aufgebaut und vermittelt viele interessante Details zur Natur, zum gesellschaftlichen Leben zu Beginn des 20. Jahrhunderts und zum Harfenspiel. Leider verliert sie gegen Ende etwas an Tiefe und Spannung, was aber dem Unterhaltungswert der Lektüre keinen Abbruch tut.

     «Du hast doch bestimmt auch Glücksmomente. Das Glück, das war, verschwindet nie. Neue Glücksmomente kommen hinzu, und alle bleiben in dir... Anstelle eines einzigen langen Glücks hast du dann eine ganze Sammlung.»

Fazit

Ein eindrücklicher Roman. Wunderschön und stimmungsvoll beschreibt er die Naturschönheiten Norwegens und lässt das gesellschaftliche Leben zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufleben. Das Schicksal der Hauptfigur, ihr Lebensweg und ihre Entwicklung zu einer selbstbewussten Frau ist spannend und berührend. 

Die Harfenspielerin

Laila Brenden, Ullstein

Die Harfenspielerin

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