Birding Babylon

  • San Francisco: Sierra Club Books, 2006, Titel: 'Birding Babylon', Seiten: 79, Originalsprache
  • Berlin: Berliner Taschenbuchverlag, 2009, Seiten: 91, Übersetzt: Robin Detje, Bemerkung: Vorwort von Marcel Beyer
Birding Babylon
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Neşe Bakir
601001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2011

Tagebuch der Vögel im Krieg?

Das Positive an diesem Buch ist zweifellos die Tatsache, dass die Beobachtungen und aber auch die Empfindungen des Autors, seine Schreib- und Denkweise, allgemein gefasst seine ganze Innenwelt kein Gegenstand der Fiktion und oder auch der Spekulation sind: Den Autor als Soldaten bzw. den Soldaten als Autor gibt es wirklich und dieser schreibt wirklich so, wie es uns vorliegt. Dies macht es interessant genug, es lesen zu wollen.

Ursprünglich handelte es sich bei diesem Buch um die Blogeinträge eines Soldaten im Irak, der im Krieg als Sanitäter eingesetzt war. Dieser entschloss sich, während seines Einsatzes die Vögel zu beobachten und diese Beobachtungen als Blog-Einträge zu veröffentlichen. Der Autor hält sein Versprechen ein, das er uns zu Beginn gegeben hat: Es schreibt viel über Vögel. Zuerst nimmt man die vielen Informationen über die vielen verschiedenen Vögel eher gleichgültig auf, vielleicht überspringt man sie sogar. Doch irgendwann (wobei dieses irgendwann nicht zu spät eintritt) verfällt man der Euphorie des Autors und blättert eifrig weiter, um sich durch die Illustrationen im Anhang zu vergewissern, dass der "unglaublich coole Vogel", von dem er spricht, tatsächlich so ist.

Neben Geschriebenem gibt es aber auch viel Nicht-Geschriebenes, was man auch als die große Schwäche des Buches interpretieren könnte: Es geht (fast) nur um Vögel, obwohl der Krieg (auch und hauptsächlich) die Menschen betrifft. Das Fehlen der Opfer wurde von anderen Rezensenten oft so interpretiert, dass der Autor diese abgeschaltet habe, weil er eine Art von Schutzmechanismus entwickelt habe, um die Schrecken des Krieges zu verkraften. Doch mir stellt sich die Frage, ob er die Menschen auch wirklich abgeschaltet hat, oder ob der Schein trügt? Ist seine innere Wahrnehmung wirklich so, wie wir sie durch die Einträge erfahren? Es erscheint mir viel wahrscheinlicher, dass es keine Selektion bei der Wahrnehmung gibt, sondern eher eine Selektion beim Schreiben. Der Autor, der aufgrund seiner Position als Soldat nicht einmal preisgeben darf, wo genau er die Vogelbeobachtungen macht, darf umso weniger über die Opfer des Krieges berichten. Dass er die Menschen innerlich nicht ausschaltet, kommt in den wenigen Passagen zum Vorschein, wo Menschen eine scheinbar kleine, aber dennoch große Rolle spielen. Nicht er, sondern das von ihm benutzte Medium Internet verhindert, dass hier über Menschen berichtet wird. So betrachtet, ist das Schreiben über Vögel also bloß ein Ersatz für das Über-Menschen-Schreiben. Dann erhält auch seine Aussage:

 

Ich würde gern ein lebendiges zu Gesicht bekommen,

 

was ja vorläufig auf ein Vogel zu beziehen ist, eine ganz andere Bedeutungsebene. Es ist also nicht abwegig zu fragen, wie es wäre, wenn er seine Einträge nicht in ein Internet-Tagebuch, sondern nur für sich selbst geschrieben hätte.

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