Vielleicht etwas für Naschkatzen
Seit 1906 gibt es die Konditorei an der Gran Via in Barcelona; Christian Escribà führt sie in der mittlerweile vierten Generation. Nun hat er sich mit der spanischen Autorin Sílvia Tarragó Castillón zusammengetan, um die Geschichte seiner Familie zu erzählen. Herausgekommen ist ein merkwürdiges Gemisch aus Fiktion, Fakten und Rezepten ...
Die Familie Escribà und Alba, die gerne backt
Alba ist die Protagonistin in diesem Roman. Sie ist von Geburt an mit der Konditorei an der Gran Via verbunden, hat doch angeblich das von dort stammende Gebäck dafür gesorgt, dass sie auf die Welt kam. Ausgestattet mit einem ungewöhnlich ausgeprägten Geschmacks- und Geruchssinn liebt sie es schon als Kind, zu backen; der Traum von der eigenen Bäckerei ist da nicht verwunderlich. Doch es dauert viele Jahre, bis sie über Umwege in die Konditorei Escribà kommt und von dort aus ihren Traum zu verwirklichen versucht. Natürlich spielt auch die Liebe eine Rolle - doch nicht immer eine positive.
Das ist der fiktive Part im Roman. Der auf Fakten beruhende Teil dreht sich um die Familie der Konditoreibesitzer. So lernen wir Mateu Serra kennen, den Gründer der ersten Bäckerei, seinen Sohn Antonio und seinen Enkel Antoni. Ihre Geschichte bildet den Hintergrund für Albas Leben, das von 1926 bis 1952 erzählt wird, also auch in der Zeit des Bürgerkrieges und der Diktatur.
Farblose Charaktere in einer ausbaufähigen Geschichte
Die Personen der Familie Escribà halten sich im Hintergrund und sind nur auf das Nötigste beschränkt charakterisiert. Lediglich mit Mateu darf der Leser längere Zeit verbringen und lernt in ihm einen willensstarken Menschen kennen, der es schafft, vom analphabetischen, ungelernten Jugendlichen zum Bäcker mit eigenem Geschäft aufzusteigen. Die meiste Zeit jedoch begleitet man Alba durch ihr Leben. Doch hier hat man immer das Gefühl, diese Frau nicht richtig kennenlernen zu können. Es fehlen eingehende Schilderungen ihrer Gedanken und Emotionen; alles wird schnell in ein paar Bemerkungen abgebügelt, eine tiefere Charakterisierung fehlt. Alba bleibt farblos, uninteressant und weckt keinerlei Emotionen beim Leser. Dabei geschieht so einiges in ihrem Leben, was eine genauere Betrachtung oder Schilderung wert gewesen wäre. Aber selbst die schweren Zeiten des Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur werden in diversen Aspekten angerissen, doch nie kommt es zu einer tieferen Einbindung in die Geschichte. Die Autoren ergehen sich in ständigen Wiederholungen, wobei die immer wiederkehrende Verherrlichung der Konditorei und ihrer Erzeugnisse an Eigenlob grenzt - was die Autoren aber scheinbar nicht merken, denn den größten Stellenwert legen sie auf die von Alba umgesetzten Backrezepte, die sie dann auch sehr ausführlich beschreiben.
Historische Familiengeschichte, fiktiver Roman oder Kochbuch?
Bei der Einordnung dieses Romans bin ich ziemlich ratlos: Scheinbar war es wichtig, dass die Escribàs mit ihrer Konditorei eine Rolle spielen, und man hat aufgrund der eingehenden Informationen durch Christian Escribà auch den Eindruck, einen historisch geprägten Familienroman vor sich zu haben. Doch am Ende des Buches erfährt der Leser, dass es sich - bis auf die (wenigen) „historischen Daten und Fakten zur Patisserie Escribà“ - um ein „fiktionales Werk“ handelt und der Leser, dem Christian Escribà „die Geschichte meiner Familie, unserer Stadt und des traditionellen spanischen Gebäcks“ versprochen hat, fühlt sich etwas verschaukelt. Auch die bis ins kleinste Detail wiedergegebene Zubereitung von allerlei süßen Leckereien (ein Rezept für Pastissets findet man in aller Ausführlichkeit im Buchumschlag) vermittelt einen größeren historischen Bezug; sie geben dem Roman aber vor allem den Touch eines Backrezepte-Buches. Herausgekommen ist weder ein historischer, noch ein fiktiver Roman und auch kein Kochbuch, sondern eine unausgegorene Mischung aus den drei Zutaten, die dazu auch noch stilistisch sehr ausbaufähig ist. Der Schreibstil ist wenig einfallsreich und die Dialoge sind in so gestelzter Schriftsprache gehalten, dass sie nicht einmal den Ansatz von Authentizität haben.
Fazit
Die Bäckerei der Wunder stellt keine Ansprüche an den Leser. Simpel und unrealistisch in der Sprache und wenig fesselnd erzählt, gibt sich dieser Roman als eine historische Familiengeschichte aus, die sie dann aber doch nicht ist. Lediglich Naschkatzen könnten mit den zahlreichen Rezepten auf ihre Kosten kommen und sich an Nougat mit Karamell-Creme, Panellets de pinyons und Pastissets de Tortosa versuchen.
Christian Escribà, Sílvia Tarragó, Heyne
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