Die Unschärfe der Welt
- Klett-Cotta
- Erschienen: August 2020
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- HC, 216 Seiten
Eine Familiengeschichte aus dem rumänischen Banat
Im rumänischen Banat finden sich, historisch bedingt, verschiedene Völkergruppen - alle mit ihrer eigenen Sprache. Iris Wolff erzählt die Geschichte einer deutschstämmigen Familie über vier Generationen hinweg – vom Königreich Rumänien über die Ceausescu-Diktatur bis zur Zeit nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und der Öffnung der Berliner Mauer. Der Leser begleitet sieben Personen auf ihrem Lebensweg, wobei Samuel immer der Dreh- und Angelpunkt ist.
Sieben Leben auf immer miteinander verknüpft
Samuel ist das Kind von Pfarrer Hannes und dessen Frau Florentine. Er ist ein stilles Kind, das erst spät anfängt zu sprechen, aber dafür ein untrügliches Gespür für den Moment und die Seelen seiner Mitmenschen hat. Er liebt seine Mutter und Stana aus der Nachbarsfamilie, hört die Geschichten seiner Großmutter und hat Oz zum besten Freund, für den er alles tut. Wolff gelingt es mit wenigen Sätzen, dass einem diese Menschen nahe kommen. Wir erleben Florentines Angst, auch dieses ungeborene Kind zu verlieren, sind bei Großmutter Karline, wenn sie dem rumänischen König die Hand gibt, bei Stana, die unter ihrem gewalttätigen Vater leidet und natürlich bei Oz, der gegen seinen inneren Drachen bestehen muss. Der Leser erlebt mit, wie große Politik das behütete dörfliche Leben beeinflusst, wie die Spitzel Ceausescus auch hier ihr Unwesen treiben, und wie die Ethnienvielfalt dieser Region nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch sein kann. Dabei steht immer die Frage im Raum, wie weit man sich und seinen Träumen treu bleiben muss, wenn gleichzeitig Freundschaft und Familie Opfer fordern. Die Autorin flechtet aus den einzelnen Erzählsträngen eine bewegende Geschichte, die mit ihren Figuren anrührt und durch ihre Sprache fesselt.
Ein Schreibstil mit sehr viel Gespür für Sprache
Es gibt kaum wörtliche Rede in diesem Buch, doch Wolff hat einen so eindrucksvollen Schreibstil, dass man sie nie vermisst. Eindringlich und voller Gefühl entführt die Autorin den Leser in die Geschichte; hier sitzt jedes Wort, jede Beschreibung ist präzise, jede Emotion eindrücklich. Doch man ist nie überfordert - im Gegenteil, der ausdrucksstarke Stil ermöglicht ein müheloses Eintauchen. Diese Sprachgewandtheit ist es, die neben der fesselnden Erzählung den Leser packt. Auf gut 200 Seiten wird versucht, „die Unschärfe der Welt“ wieder scharf zu stellen, sie darauf zu fokussieren, was wirklich wichtig ist: dass ein Ende auch ein Neuanfang sein kann, dass Grenzen zwar Familien auseinander reißen, aber nicht zerstören können, dass Liebe auch auf Distanz möglich ist, und dass Familie und Freundschaft die Essenz des Lebens sind.
Fazit
In Die Unschärfe der Welt verbindet Iris Wolff eindrucksvoll Zeitgeschehen und Familiengeschichte. Dabei begeistert der Roman durch seine gefühlvolle Erzählung genauso wie durch sein hohes Sprachniveau. Die wenigen Seiten sind, was beides betrifft, so intensiv, dass dieser Roman zwar schnell gelesen ist, aber noch lange nachwirkt.
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