Alles, was bleibt

  • Knaur
  • Erschienen: Januar 2011
  • 3
  • München: Knaur, 2011, Seiten: 339, Originalsprache
Alles, was bleibt
Alles, was bleibt
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Daniela Loisl
861001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2011

gefühlvoll und schmerzlich intensiv, dennoch nicht übermäßig sentimental

Gesine und Leo sind ein Paar. Ein Traumpaar so zu sagen. Sie haben sich gefunden und passen nicht nur auf der Gefühlsebene zusammen, sondern ergänzen sich regelrecht, kennen einander, vertrauen sich und agieren wie eine Einheit. Alles läuft wunderbar – so scheint es. Bis eines Tages das böse Erwachen für Gesine kommt. Leo hat eine andere; eine die er liebt, noch mehr liebt als sie und er verlässt Gesine für die andere: Jule.

Nach siebzehn wunderbaren und harmonischen Jahren steht Gesine vor einem Scherbenhaufen, den sie aufgrund von Fotos zu rekonstruieren versucht. Puzzlestück für Puzzlestück steckt sie zusammen, um zu erkunden, wo denn nun der Bruch begonnenen hat. Wo der erste Riss entstand, ohne dass sie es gemerkt hat.

Gefühle die man schmeckt wie gutes Essen, zerschmelzend, vollmundig, Gusto nach mehr hinterlassend, rass, würzig, scharf

Leo ist 50, als er Gesine eröffnet, er wolle sich von ihr scheiden lassen. 17 Jahre einfach weg, ausgelöscht, ad acta gelegt. Gesine durchlebt die anschließenden Wochen wie in Trance und, um wenigstens irgendetwas zu tun, sich selbst von dem Geliebten zu lösen wie sie meint, kochte sie genau die Rezepte, die entweder er für sie oder sie für ihn gekocht hat.

Die Autorin Annette Hohberg war auch als Restaurantkritikerin für den Gault Millau tätigt, was sich in ihren genussvollen Beschreibungen bei den Menüs auch kaum verhehlen lässt. So lässt sie auch ihren Protagonisten, wenngleich er hinter Gesine eher die zweite Geige spielt, Leo, ebendiesen Beruf ausüben und das in Perfektion und des Lesers Geschmacksinne werden nicht nur durch elitäre Restaurantbesuche auf Touren gebracht, sondern auch durch Gesines wunderbare Rezepte gegen ihre Traurigkeit.

Hohberg schreibt flüssig, weich und leicht und ist dies doch eine Liebesgeschichte bzw. das Ende einer solchen, so verfällt sie nie ins dramatisch Reißerische oder gar schnulzig Kitschige. Für sehr geradlinige nüchterne Menschen und absoluten Rationalisten wird dieses Buch mit Sicherheit nicht das richtige sein, allzu empathisch und bis ins innerste Seelenleben dringt Hohberg bei Gesine ein, beschreibt, wie ihr zumute ist, welche Leere sie empfindet, welche Ängste sie plagen, welche Hoffnung sie immer noch hegt, auch wenn sie weiß, dass dies völlig unsinnig und utopisch ist, denn am liebsten würde sie die Zeit zurückdrehen, zurückdrehen dahin, wo der ganze Bruch begonnen hat, um dem vorzubeugen, was doch geschehen ist. Um diese Stelle zu finden, nimmt sie stets eines der 17 Fotos zur Hand, von denen jedes für ein Jahr für sie und Leo steht, und begibt sich in die Normandie, wo ihrer beiden Ferienhäuschen steht, um sich einer Analyse ihrer Beziehung hinzugeben.

Die Figuren – fast normalen Menschen, aber nur fast

Gesine und Leo passiert hier etwas, was hunderttausenden anderen Paaren tagtäglich auch passiert. Aber dennoch ist es für jedes einzelne Paar derselbe schwere Weg und eine Trennung ist nie vergleichbar mit einer anderen.

Um Figuren wie Gesine so ins Innerste sehen zu können, etwas so intensiv darzustellen, liegt die Vermutung nahe, dass die Autorin diesen schweren Weg entweder selbst einmal gegangen ist oder mit jemanden so innig verbunden ist der ähnliches erlebte und sich ihr dann öffnete. Mag es dem einen oder anderen Leser übertrieben, ja vielleicht sogar kitschig vorkommen, was mit Gesine geschieht, so muss man Annette Hohberg aber sehr wohl zu Gute halten, dass sie nichts anderes getan hat, als eine verlassene und liebende Frau stellvertretend für viele zu wählen, um zu veranschaulichen, welche Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Schmerzen sich in einem abspielen können. Stets versucht, dem Ganzen zu entfliehen, hält einen die Liebe gegen alle Vernunft viel stärker gefangen als die Realität. Diese Hürde gilt es zu überwinden, will Gesine (man) wieder ein normales Leben führen und offen sein für Neues. Gesine greift dabei scheinbar zu widersprüchlichen Mitteln, denkt man an Frank, ihren Geschäftspartner und innigsten Freund, der sie seit Jahren liebt, oder an Julien, den sie in der Normandie kennen lernt. Junge Frauen sind vielleicht schnell verleitet zu sagen "Das würde ich in so einer Situation niemals tun…" und doch bestätigt Hohberg gerade mit diesem Handeln Gesines die Realität. Sich unbedingt befreien wollen von dieser Last, diesem Schmerz und wenn es sein muss, mit masochistisch wirkendem Handeln.

Das Einzig, das die Autorin gänzlich außen vor gelassen hat, sind finanzielle Probleme. Diese gibt es weder bei Gesine, noch bei Leo und seiner jungen Liebe Jule, noch bei dem befreundeten Ehepaar Camille und Jean-Luc. Geld existiert nicht, es ist da, was man braucht. Dadurch hat Hohberg den Focus rein auf die Beziehung gelegt, um so keinen Gedanken an irgendwelche "nebensächliche" Probleme aufkommen zu lassen.

Ein spezielles Highlight dieser Geschichte sind die wunderbaren Rezepte die Gesine für sich – in Gedanken dabei stets bei Leo – kocht. Diese Rezepte findet man am Schluss des Buches und sie laden zum Ausprobieren ein.

Beim Kauf des Buch muss der Leser aber entscheiden, ob er bereit ist, sich mit dem Buch auf eine reine Gefühlsreise zu begeben, denn ansonsten wird das wirklich schöne Buch voller Empathie den Käufer oder Leser nicht glücklich machen.

Alles, was bleibt

Annette Hohberg, Knaur

Alles, was bleibt

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