Das zweitbeste Leben

  • Arche
  • Erschienen: Juli 2020
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- OT: A Daughter is a Colony

- aus dem Englischen von Britt Somann-Jung

- HC, 352 Seiten

Das zweitbeste Leben
Das zweitbeste Leben
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Julian Hübecker
801001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2020

Mein Vater, der Bigamist

James Witherspoon hat ein geregeltes Leben: ein Job, der ihm Spaß macht, eine bezaubernde Tochter und eine Frau, mit der es sich leben lässt. Jene Tochter und jene Frau wissen allerdings nicht, dass James einige Straßen weiter noch eine andere Frau hat, die ihm ebenfalls schon eine Tochter schenkte. Doch während Familie A nichts von der Bigamie weiß, ist Familie B sehr wohl im Bilde – und muss mit dem zweiten Rang leben.

Kann man sich mit dem zweiten Platz begnügen?

Dana wächst im Wissen auf, dass sie ein Geheimnis ist. Keiner darf erfahren, dass sie als Tochter eines bereits verheirateten Mannes lebt. Zumindest der Ruf als Bastard bleibt ihr erspart, da James und ihre Mutter Gwen beschließen, heimlich in Georgia zu heiraten. Dennoch leidet Dana zeitlebens darunter, nur das „zweite Kind“ zu sein. Abwechslung bietet ihr Onkel Raleigh, der als einziger eingeweiht ist und ihr zumindest das Gefühl gibt, nicht völlig von der Welt vergessen zu werden.

„Sie sagt, eine Liebe wie die mit meinem Vater sei von Gott gestiftet und nicht von der Welt, also auch nicht an die Gesetze des Bundesstaats Georgia gebunden. Dagegen kann man schlecht etwas einwenden.“

Chaurisse kann sich mit ihrer Familie glücklich schätzen: Ihr Vater James hat einen eigenen Limousinenservice und liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab, ihre Mutter besitzt einen Friseursalon. Sie denkt sich nichts Böses in ihrem Leben, findet aber noch nicht so richtig ihren Platz, von Freunden ganz zu schweigen. Stets schaut sie zu den Silver Girls auf, die sie so nennt, weil sie ein silberner Glanz zu umgeben scheint, der ansteckend auf andere wirkt. Daher kann sie es auch kaum glauben, als Dana, ein Silver Girl, sie anspricht und mit ihr abhängen möchte.

Der Rest ist Geschichte, wie es so schön in einer Kapitelüberschrift heißt…

Eine geteilte Erzählung

Interessant ist die Konstellation, die Tayari Jones geschaffen hat - von den zwei Mädchen, die unabhängig voneinander aufwachsen, von denen die eine aber weiß, dass die andere ihre Schwester ist, umgekehrt jedoch nicht. Beide dürfen ihre Geschichten erzählen: wie sie aufgewachsen sind - die eine wohlbehütet, die andere unter einem Mantel des Schweigens -, vom gleichen Vater beeinflusst, jedoch jeweils eine andere Seite erlebend.

Es ist sehr spannend, den Vater wahrzunehmen, der ohne Zweifel seine beiden Kinder liebt, diese Liebe bei Dana jedoch nicht in vollem Umfang zeigen kann. Klar, dass Dana irgendwann ausbricht, wenn sie ihren Vater meist mit „Sir“ ansprechen muss, jedoch eher eine innige Umarmung gebraucht hätte. Daher ist sie es auch, die zaghaft nach Berührungspunkten mit der ersten Familie sucht - und damit einen gefährlichen Stein ins Rollen bringt.

Tayari Jones schreibt sehr erzählerisch; es fehlen große Emotionen, die Sicht bleibt eher oberflächlich. Doch diese Art zu Schreiben passt, lässt sie doch Raum für eigene Gedanken: Hat Dana das Recht, sich in die erste Familie einzumischen und so Chaurisses heile Welt zu zerstören? Andererseits sind die beiden Schwestern, die allein schon der Blutsverwandtschaft wegen eine Beziehung zueinander haben sollten. Doch ist eine Annäherung überhaupt möglich? Die Geschichte reißt einen mit und offenbart Einblicke in eine ungewöhnliche Familiendynamik.

Fazit

Es fehlen ein paar Highlights, um das Buch zu einem Knüller werden zu lassen – ein wenig Drama, ein paar mehr Akzente. Doch insgesamt ist Das zweitbeste Leben ein interessanter Roman, der viele Sichtweisen zulässt und mit unerwiderten, verzerrten Gefühlen gesättigt ist.

Das zweitbeste Leben

Tayari Jones, Arche

Das zweitbeste Leben

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