Palmen in Dublin

- OT: Tearful Traveler

- aus dem Englischen von Henning Ahrens

- HC, 288 Seiten

Palmen in Dublin
Palmen in Dublin
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Carola Krauße-Reim
751001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2020

Was macht die eigene Identität aus?

Der Ich-Erzähler wächst in Irland mit einer deutschen Mutter und einem irischen Vater auf. Nach einer Zeit in Berlin kehrt er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nach Dublin zurück. Immer auf der Suche nach seiner eigenen Identität, seiner Sprache und seinem Platz auf dieser Welt, erzählt er vom Familienleben, dem Aufbau eines Unternehmens und der Frage, was Heimat ist.

Memoiren eines Wurzellosen

„Palmen in Dublin“ sind die Memoiren eines Ich-Erzählers, die den Charakter von Tagebucheintragungen haben und fast ohne wörtliche Rede auskommen. Das macht die Lektüre nicht leicht und verlangt vom Leser einiges an Durchhaltevermögen. Dazu kommt der überwiegende Gebrauch des Präsens, was eine Eingewöhnungsphase verlangt, bevor man endgültig mit dem Stil warm geworden ist. Der Erzähler, dessen Name nie genannt wird, reiht Momentaufnahmen seines Lebens aneinander ohne auf die Chronologie zu achten. So kann es sein, dass er sich Gedanken über längst Vergangenes aus seiner Kindheit macht und kurz danach zur Gegenwart übergeht. Der grobe Strang ist allerdings sein Elternhaus mit einer deutschen Mutter und einem irischen Vater, der nur die „Geistersprache“ Gälisch spricht; seine Zeit in Berlin; seine Rückkehr mit Frau und zwei Töchtern nach Dublin und der Aufbau und Verlust eines Familienunternehmens. Dabei wiederholt sich die Geschichte bei den Familienangehörigen immer wieder: Die Mutter ist eine Deutsche, die den 2. Weltkrieg mit aller Wucht erlebt hat, größtenteils alleine und als Fremde nach Irland kam; der Erzähler sitzt als Deutsch-Ire zwischen den Stühlen und sucht nach seinem Platz und seinen Wurzeln; seine Frau Helen ist Britin, was das Leben in Nordirland zu Zeiten der troubles auch nicht unkompliziert macht, auch sie wurde schon als Jugendliche von ihren Eltern alleine zurück gelassen und seine Töchter sind Deutsch-Irisch-Britischer Herkunft und in Berlin geboren. Die Frage nach Heimat, Identität und Zugehörigkeit ist da zwangsläufig.

Wer bin ich und wo gehöre ich hin?

Was macht die eigene Identität aus? Das ist die zentrale Frage in diesem Roman. Der Autor, selbst Kind eines irischen Vaters und einer deutschen Mutter, scheint sich das auch öfters gefragt zu haben, denn er gibt dieses Thema mit so viel Enthusiasmus wieder, dass man gefesselt ist von den Gedanken des Ich-Erzählers, egal wie schwierig die Lektüre ist. Als Kind von Eltern aus unterschiedlichen Staaten muss man mit zwei Kulturkreisen zurecht kommen. Im vorliegenden Fall kommt noch die Schwierigkeit der irischen Situation während der troubles dazu. Irland ist gespalten in die protestantischen Briten und die katholischen Iren. Wenn dann noch eine weitere Nationalität dazu kommt, wird es schwierig seinen Platz zu finden. Die Suche nach dem eigenen Ich ist unausweichlich. In Irland war der Erzähler immer nur ein halber Ire und in Deutschland immer nur ein halber Deutscher – nie war er ganz. Auch die identitätsstiftende Sprache fehlte ihm. „Ich bin in einem sprachlichen Albtraum aufgewachsen, mit Deutsch, Irisch und Englisch, und wusste nie genau, zu welchem Land ich gehöre“. Englisch war die Sprache der Straße, die der irische Vater nicht erlaubte; Gälisch ist die Geistersprache, die nur die Eingeweihten sprachen und sangen; Deutsch eine Sprache des Auslandes, nur mit der Mutter gesprochen. Immer nur ein bisschen dazu zu gehören reicht nicht um anzukommen. Und so wünscht sich der Erzähler: „Ich würde meine Familie gerne in eine Gegend versetzen, wo man ohne Erinnerung einen Neuanfang machen kann.“

Eine schwierige Familiengeschichte

Neben der immer wiederkehrenden Frage nach der eigenen Identität, der Heimat und Zugehörigkeit schildert der Autor eine Familiengeschichte, die von Schwierigkeiten geprägt ist. Der Erzähler arbeitet in einem Archiv für Gälische Sprache - im Keller. Das verstärkt seinen Ausschluss aus der Gesellschaft noch einmal. In Berlin verdingte er sich als irischer Folksänger, was in Irland aufgrund seiner nicht rein irischen Herkunft nie zugelassen würde. Der Wechsel in die Selbstständigkeit misslingt und wird zu einem finanziellen Desaster. Nebenbei erziehen Helen und er die zwei Töchter Essie und Rosie und erleben mit ihnen natürlich auch Höhen und Tiefen. Die Memoiren scheinen mehrere Jahrzehnte zu umfassen. Es werden immer wieder geschichtliche Meilensteine, wie der Fall der Berliner Mauer oder die Hungerstreiks in Irland genannt, die eine zeitliche Einordnung ermöglichen. Der Leser begleitet den Erzähler und seine Familie, erlebt die glücklichen und die schlechten Zeiten mit ihnen und kann am Ende des Buches nachvollziehen, wenn es heißt: „Inzwischen gehört er zum Leben, dieser Zustand des Ankommens und Nicht-Ankommens“.

Fazit:

„Palmen in Dublin“ ist keine leichte Lektüre. Stil und ständige Zeitsprünge machen es dem Leser nicht einfach einzutauchen in das Leben des Ich-Erzählers. Aber, die Mühe lohnt sich, lernt man doch eine Persönlichkeit auf der Suche nach der eigenen Identität, der Zugehörigkeit und dem Platz im Leben kennen und begleitet sie gleichzeitig durch ihre Familiengeschichte, die von Höhen und noch mehr Tiefen geprägt ist. Hugo Hamilton hat einen Roman geschaffen, der wichtige Fragen aufwirft, die noch lange im Kopf bleiben, auch, wenn man das Buch schon beendet hat.

Palmen in Dublin

Hugo Hamilton, Luchterhand

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