Die beste Depression der Welt

  • Ullstein
  • Erschienen: März 2020
  • 1

- HC, 320 Seiten

Die beste Depression der Welt
Die beste Depression der Welt
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Yannic Niehr
871001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2020

Vielleicht ist für mich Überleben generell ein belastetes Thema

Alles nur wegen eines verdammten Blogeintrages… Nachdem Vera im Internet über ihren Suizidversuch berichtete und damit zu zweifelhaftem Ruhm gelangt ist, tritt ein großer Verlag an sie heran mit der Idee, sie könne doch einen Ratgeber zum Umgang mit Depressionen schreiben. Eine großzügige Vorauszahlung winkt ebenfalls – wie hätte sie da Nein sagen können? Das Problem ist nur: wird man fast jeden Tag in einen Strudel aus Prokrastination, Antriebslosigkeit, Überdruss, Selbstvorwürfen und Wertlosigkeit gerissen und stellt schon das Duschen ein fast unbezwingbares Hindernis dar, ist das tatsächliche Schreiben eines Buches ein praktisch unmögliches Unterfangen. Zum Glück gibt es ja viel, mit dem man sich ablenken kann: Besuche der besten Freundin Pony, die selbst Erfahrungen mit Depressionen hat und ein wenig Verständnis aufbringen kann; grübelnde Beschäftigungen mit den Verletzungen der Vergangenheit; Verreisen, Meditieren, Lachyoga, Schamanismus; und natürlich viel Gelegenheitssex. Doch wird Vera irgendwo die Inspiration finden, die sie sucht?

„Mein sexy Weg aus der Depression!

Schritt 1: Besorg dir Kokain

Schritt 2: Sex

Schritt 3: siehe Schritt 1“

Helene Bockhorst ist bereits seit einigen Jahren als Stand-Up-Comedienne unterwegs. Mit Die beste Depression der Welt hat sie ihr Romandebut vorgelegt – und das ist äußerst gelungen! Psychische Erkrankungen (besonders solche, die man nicht so leicht als etwas abtun kann, was nur „irgendwelche total Verrückten in der Geschlossenen“ bekämen) sind auch heute noch ein gesellschaftliches Tabu. Mit ihrem Buch trägt Bockhorst nicht nur mit dazu bei, dass dieser Diskurs sich langsam etwas auflockert, sondern schafft es sogar, ihren leisen, trockenen Humor in diese Seiten fließen zu lassen.  Ob sie sich nun daran versucht, Bäume zu umarmen, einen Kampffisch zu pflegen oder einfach nur trübsinnig im Bett liegt, außerstande, einen wichtigen Anruf zu tätigen – für all diese Situationen hat Bockhorst ihrer Hauptfigur Vera ein paar witzige Sprüche in den Kopf gelegt. Denn solange sie es noch schafft, über die Absurdität zu lachen, sich trotz bestem Willen zu nichts aufraffen zu können und deswegen schlecht zu fühlen, haben die düstersten Gedanken noch nicht endgültig die Oberhand über sie gewonnen.  

„Es ist okay, grundlos depressiv zu sein, auch wenn der fehlende Grund einen sicherlich etwas runterziehen kann“

Humor ist das beste Werkzeug, um gerade ernsten Themen offen und ehrlich zu begegnen. Tatsächlich ist dies aber nicht einfach nur ein urkomisches Buch, sondern ist auch die Protagonistin sehr einfühlsam gezeichnet. Authentisch taucht der Leser ein in einen Verstand, von dem die Welt der Meinung ist, er würde nicht so funktionieren, wie er sollte (die Sprunghaftigkeit der Kapitel und von Veras Gedankengängen bilden diesen Eindruck sehr ansprechend nach). Das wird immer wieder überraschend tiefgründig und emotional. Denn auf ihrer Suche nach der Motivation probiert Vera zwar so einiges aus, was helfen soll: Fitness („Jillian Michaels sucks. I need more Anita in my life“), Bäume umarmen, Ernährungsumstellung… mit dem Buch will es dennoch nicht so recht klappen. Vielleicht muss man dafür also tiefer graben. So ist sich Vera nicht zu schade, an die schmerzhaften Wurzeln vorzudringen und ihre problematische Kindheit sowie ihr schwieriges Verhältnis zu ihrem (noch) Ehemann, mit dem sie längst nicht mehr zusammen sein will und sich doch nicht von ihm lösen kann, unter die Lupe zu nehmen. Letztendlich wird Veras Suche nach der „besten Depression der Welt“ – die Art von Depression, die wirklich Stoff für ein Buch bietet, das geradezu geschrieben werden will! – also auch zu einer Art Selbstfindungstrip. Zum Glück ist dieser sowohl berührend, als auch erhellend, als auch urkomisch.

Fazit

Wenn auch nicht jede einzelne Zote vollends zündet, bringt Helene Bockhorsts Romandebut der Leserschaft trotzdem eine schwierige und nach wie vor vielfach missverstandene Thematik, die für viele kein unkompliziertes Happy-End beinhaltet, auf charmante, witzige und unverstellte Art und Weise näher, ohne zu beschönigen, zu verklären oder zu belehren. So gerät Die beste Depression der Welt dabei ganz unverhofft selbst irgendwie zu einem Depressionsratgeber. Gerade in unsicheren Zeiten kann für ein solches Werk nur eine klare Leseempfehlung ausgesprochen werden!  

 

Die beste Depression der Welt

Helene Bockhorst, Ullstein

Die beste Depression der Welt

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