Jack

  • Diogenes
  • Erschienen: November 2019
  • 0

- OT: American Letters

- aus dem Englischen von Gabriele Kempf-Allié und Manfred Allié

- TB, 256 Seiten

Jack
Jack
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Yannic Niehr
721001

Belletristik-Couch Rezension vonNov 2019

La vie bohème…?

Wie soll man sich der Hauptfiguren einer ganzen literarischen Bewegung annähern? Diese Frage stellt sich nicht nur Anthony McCarten mit diesem Roman, sondern auch seine Protagonistin Jan Weintraub darin…

Jack Kerouac, der berühmte Beatnik-Poet, der mit seinen Werken ein enigmatisches Erbe hinterließ, lebt nunmehr anonym und zurückgezogen. An ihn heranzukommen dürfte sich also als äußerst schwierig erweisen. Doch siegt die Faszination, die er auf Jan ausübt: sie macht sich auf die Suche. Als sie ihn schließlich findet, ist er so gar nicht, was sie sich erhofft hat, sondern lebt im beschaulichen Städtchen St. Petersburg in Florida mit seiner Mutter und seiner vernachlässigten dritten Ehefrau in einem kleinen Häuschen, wo er sein Dasein fernsehend und Bier trinkend auf dem Sofa fristet.

So reagiert er zunächst sehr abwehrend, als die junge Studentin vor seiner Tür steht und sich auch noch anmaßt, ihn darum zu bitten, seine autorisierte Biografie verfassen zu dürfen. Besonders interessiert ist sie an seinen unveröffentlichten Werken und seiner unter Verschluss gehaltenen Briefkorrespondenz, die Licht ins Dunkel seiner Persönlichkeit werfen könnte. Zunächst verschlossen, erwärmt sich der Schriftsteller schon bald für sie. Doch es dauert nicht lange, bis sie anfängt, schwierige Fragen zu stellen und Dreck aus der Vergangenheit aufzuwirbeln, den Kerouac lieber weiterhin verdrängt hätte. Was genau treibt Jan eigentlich an? Schließlich stellt sich heraus, dass nicht alles ist, wie es scheint…

Was sind Schriftsteller anderes als der Inbegriff der Zeit, in der sie uns begegnen?

Noch heute gilt er als das Aushängeschild der Beat Generation: Jack (mit bürgerlichem Namen Jean-Louis Lebris de) Kerouac prägte eine ganze Generation, bevor der Backlash ihn verkommen ließ und in ein frühes Grab trieb. Die wilde Nachkriegsjugend schuf sich ihre eigene literarische Gattung, die heute zu den einflussreichsten der Moderne zählt. Kerouacs 1957 erschienenes, autobiographisch geprägtes Werk On the Road wurde zu ihrem Manifest. Noch vor den Hippies thematisierte die existentialistische Philosophie der Beat Generation das Leben als ständige Suche, das Spontane und Impulsive, das Manische wie Depressive, den Rausch, den Exzess und die Drogen, bevor sie von den soziopolitischen Entwicklungen ihres historischen Moments eingeholt wurde. Leider kratzt Anthony McCarten in dieser Novelle nur an der Oberfläche dieser Strömung mit kulturrevolutionären Ambitionen.

Ein Kunstwerk ist niemals fertig, man hört nur irgendwann auf, daran zu arbeiten

Man ist nach der Lektüre nicht ganz sicher, worum es dem Autor zentral geht: um ein Buch, das sich in das Lebensgefühl der Beatniks hineinfindet? Um einen historischen Roman, der einem den Menschen Jack Kerouac näherbringt? Oder um die Erzählung einer ganz eigenen Handlung, die sich dieser Themen irgendwie bedienen soll? Mit Licht hat sich McCarten als ein Meister der Literatur etabliert, die Ausschnitte aus der Geschichte raffiniert in eine unterhaltsame Romanhandlung verwandelt; im Dezember wird die Verfilmung seines nach ähnlichem Muster gestrickten Die 2 Päpste zu sehen sein. Doch diesmal will der Funke leider nicht so richtig überspringen.

Kerouacs Stil war von einer unkonventionellen, atemlosen „stream-of-consciousness“-Prosa geprägt, welche den Ideen und Empfindungen der Beat Generation eine Form geben wollte und fast wie in Schriftsprache übersetzter Jazz anmutet. McCarten scheint dies gelegentlich zu emulieren, bleibt dabei aber eher inkonsequent. Entweder wird die von ihm erdachte Story um Jan Weintraub von den Tatsachenberichten und Mysterien um die Person Kerouac überschattet, oder andersherum – die einzelnen Abschnitte wollen oft keine sinnstiftende Balance eingehen. Zwar wird ein spannender Kommentar über die Fiktion einer gefestigten, einheitlichen menschlichen Persönlichkeit und das Spiel mit Identitäten in einem zutiefst schizophrenen Amerika angerissen, dieser bleibt aber ein wenig halbgar. Dass McCarten (der bereits Drehbücher, zahlreiche vom Ansatz her anders gelagerte Romane sowie den kultigen Theaterhit Ladies‘ Night verfasst hat) rasant erzählen kann, lässt sich ihm allerdings nicht absprechen, und er wartet mit vielen detailverliebt recherchierten, auf echten Dokumenten beruhenden Fakten auf. Sein Plot verbindet sprachlich gekonnt Geschichte mit Tragikomik.  

Fazit

Anthony McCarten kann es besser, keine Frage. Dennoch ist Jack flotte, aber nicht anspruchslose und handwerklich einwandfreie Lektüre für alle, die an der Historie, Kultur und Literatur der USA interessiert sind.

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