Maschinen wie ich

  • Diogenes
  • Erschienen: Mai 2019
  • 1

Bernhard Robben (Übersetzung)

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Sebastian Riemann
851001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2019

Prozessoren und Moral

Was den Menschen von der restlichen Welt unterscheidet, ist schon vielfach der Gegenstand von langen und tiefgreifenden Überlegungen gewesen. Immer wieder begaben sich Gelehrte auf die Suche nach den Merkmalen, die den Menschen ihren besonderen Platz in der Welt und ihr Wesen  erklären können. Meist handelte es sich um Abgrenzungen zu den Tieren, die sich ähnlich bewegen, ernähren und fortpflanzen. Die Seele spielte bei den Argumentationen eine wichtige Rolle, aber auch der Geist. Später lösten sich die Grenzen langsam auf und die Begriffe änderten sich. Es wurde von Bewusstsein gesprochen und der Mensch nicht mehr grundsätzlich, sondern nur noch graduell vom Tier unterschieden. Er wurde in die Geschichte der Evolution eingeordnet und von seinem königlichen Thron gestoßen. Aber stets blieb der Mensch das herausragendste und mächtigste Wesen auf Erden.
In seinem neuen Roman macht Ian McEwan einen Schritt in die Zukunft und vertreibt den Menschen noch weiter von seiner privilegierten Position. Sein Protagonist Charlie kauft sich einen Roboter, der nicht nur menschlich aussieht, sondern auch agiert. So zumindest wird es angepriesen, das neue Glanzstück modernster Technik. Adam, so der Name des Roboters der ersten Generation, wird schnell zu einem integralen Bestandteil von Charlies Leben und bringt die gewohnte Welt durcheinander.

Die Einzigartigkeit des Menschen ist sein Bewusstsein?

Adam wurde so programmiert, dass er eigene Gedanken entwickeln, sich Fragen stellen und nach Antworten suchen kann. Er denkt über das Geschehen in seiner unmittelbaren Umgebung, aber auch auf globaler Ebene nach. Mit Literatur befasst er sich ebenso, lädt sich, einer Laune folgend, das Gesamtwerk von Shakespeare herunter, liest und analysiert es, um dann kurz darauf mit Charlie über seine Eindrücke zu sprechen. Adam ist – das wird schnell klar – mehr als nur ein Dosenöffner auf zwei Beinen. Er ist eine Maschine, die den Menschen in vielerlei Hinsicht übertrifft.

Adam fällt auch Entscheidungen, die das Leben der Menschen in seiner Umgebung verändern. Er ist engagiert für das Gute und Richtige, nicht bloß Zuschauer der menschlichen Handlungen. Dabei handelt er durchaus zuwider den Interessen von Charlie, der seinen Roboter eigentlich als Werkzeug und Hilfeleistung gesehen hatte. Sogar zur Liebe ist Adam fähig.
Die Prozesse, die in seinem Kopf voller Prozessoren ablaufen, unterscheiden sich vom menschlichen Bewusstsein. Das ist klar. Jedoch stellt sich die Frage, inwiefern dies ein grundlegender Unterschied ist. Die Protagonisten des Buches und auch der Leser werden hin und her gerissen, in Adam ein Wesen mit andersartigem Bewusstsein oder eine Maschine zu sehen, die so angelegt wurde, dass sie den Anschein von Bewusstsein erwecken kann. Adam legt manchmal die Stirn in Falten oder stützt das Kinn in der Hand ab, so wie es Menschen machen.

Eine alternative und doch tagesaktuelle Welt

Die Welt, in der Charlie und Adam leben, ist unsere Welt, aber auch nicht. Es handelt sich um eine alternative Variante. Alan Turing, der britische Denker, der im zweiten Weltkrieg erfolgreich an der Entschlüsselung der Enigma Codes arbeitete und als Vordenker der Informatik gilt, ist im Roman sehr lebendig und trägt tatkräftig zum Fortschritt bei. Sein brillanter Geist erlosch nicht im Jahre 1954, sondern ist noch viele Jahre produktiv, wodurch die Wissenschaft in der Entwicklung, besonders bei Robotern, große Erfolge feiern kann.
Politische Unruhen in Großbritannien gibt es ebenso im Buch, es wird sogar die Frage des Brexit angeschnitten. Auf Londons Straßen kommt es zu Protesten und Tumulten, neue Gesellschaftsmodelle und Möglichkeiten zur Steuereintreibung werden erwägt. Es ist Bewegung auf der Insel.

Unmoral und Irrationalität als menschliche Erkennungsmale?

Die Frage nach der Außergewöhnlichkeit des Menschen wird im Roman letztendlich doch noch beantwortet. Dabei entscheidet nicht die Leistungsfähigkeit – denn in diesem Feld gewinnt die Maschine Adam –, sondern die Fähigkeit, nicht das Richtige und Gute zu tun. Der Betrug und die Lüge, sie unterscheiden einen Roboter, der auf Recht und Ordnung programmiert ist, von einer wahren Person, die oft die eigenen Interessen über allgemeine Regeln stellt. Wenig glorreich ist diese Medaille für die Menschheit, mit der sie sich schmücken darf. Aber vielleicht gerade deshalb um so wahrhaftiger.

Fazit:

Ian McEwan ist mal wieder ein sehr kluger, gut geschriebener Roman gelungen, in dem er ein aktuelles Thema verarbeitet und seine Leser zum Nachdenken anregt. Die Geschichte von Adam ist nicht so weit von unserer Realität entfernt, wie wir glauben. Außerdem ist sie spannend und mit viel Feingefühl erzählt.

Maschinen wie ich

Ian McEwan, Diogenes

Maschinen wie ich

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