Die Frauen vom Savignyplatz

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Kirsten Kohlbrei
801001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2019

Leben, Liebe und Literatur im Berlin der Zwanziger Jahre

Im Frühling des Kriegsjahres 1916 steht die siebzehnjährige Metzgerstochter Vicky Greiff in Berlin kurz vor der von den Eltern arrangierten Eheschließung mit dem Strumpffabrikantenerben Ebert, als sie sich auf eine Beziehung mit Wilhelm Genzer, einem Soldat auf Heimaturlaub einlässt. Vicky wird prompt schwanger und aus der anfänglichen Romanze entwickelt sich bald tiefe Zuneigung. Einige Monate später heiraten die beiden gegen den ausdrücklichen Wunsch der Greiffs. Die hatten sich für ihre auf den Namen Augusta getaufte Tochter, die sich aber lieber Vicky nennt, eine bessere Partie, als den in Friedenszeiten mittellosen Chemiestudenten Willi, erhofft.

Liebesglück im Stresstest Alltag

Neun Jahre später im Herbst 1925 ist von der stürmischen Liebe nicht mehr viel übrig. Die Eheleute Genzer sind in der Routine ihres Alltags angekommen und die sieht ernüchternd aus.
Mittlerweile sind vier Kinder geboren und ein fünftes ist unterwegs. Die Familie wohnt trotz Divergenzen zur Miete im Haus des Ehepaars Greiff. Vicky arbeitet als Verkäuferin in der elterlichen Fleischwarenhandlung. Ihre Mutter kommt über den Tod ihres ältesten im Krieg gefallenen Sohnes Otto nicht hinweg. Der zweitgeborene Peter hat Berlin verlassen und Vickys jüngster Bruder Bambi ist traumatisiert von der Front zurückgekehrt und lebt in einer Heilanstalt im Grunewald. Willi hat sein Studium aufgegeben und verdient mit Gelegenheitsjobs und Preisboxen den Lebensunterhalt. Der ganzen Situation überdrüssig stellt er Vicky eines Tages vor vollendete Tatsachen. Seine Jugendliebe Christine erwartet ebenfalls ein Kind von ihm und er will die Scheidung. Zudem wird Bambi auch noch genau zu dem Zeitpunkt aus der Klinik entlassen und braucht eine Bleibe.

Selbst ist die Frau

Eine Zukunft als alleinerziehende Mutter in dieser Zeit erscheint utopisch, obwohl Vicky genau so eine Eigenständigkeit vorschwebt. Als begeisterte Leserin, träumt sie von ihrer eigenen Buchhandlung. Auch wenn die Eltern ihr ein Studium versagt haben, ist ihre Leidenschaft für Bücher über die Jahre nicht weniger geworden und ihre Metzgerskundinnen sind begeistert von ihren Buchempfehlungen. Ihre Eltern sehen stattdessen die Chance, ihre Tochter nun endlich finanziell gesichert unter die Haube zu bringen. Der Wunschschwiegersohn Jakob Ebert erweist sich dabei für Vicky unerwartet sympathisch. Er unterstützt sie sogar in ihrem Vorhaben und ist eine Verbindung in die Berliner Bohème. Mit Freunden und Familie als Rückendeckung wagt Vicky schließlich den Neuanfang und eröffnet ihren Buchladen für Liebesromane. In dieser Zeit entwickelt sich zwar eine Freundschaft zu Jakob, aber mehr auch nicht. Willi zeigt sich indes als aufopfernder Vater und hält engen Kontakt zu den Kindern. Vicky stellt fest, dass die Verbundenheit der gemeinsamen Jahre nachwirkt. Trotz aller Wut und Enttäuschung und dem Wunsch nach Unabhängigkeit, sind die Gefühle für Willi noch stark. Ihr fehlt seine Nähe. Und als Willi in der Vicky, die für ihre Wünsche kämpft, die Frau wiedererkennt, in die er sich einmal verliebt hat, erscheint die Trennung auf einmal weniger endgültig. Die Buchhandlung startet erfolgreich, aber schon bald gerät sie mit ihrer emanzipatorischen Tendenz ins Blickfeld von Sittenkontrolle, konservativer und aufkeimender nationalistischer Anfeindungen.  Als es zu tätlichen Übergriffen kommt und in der Presse eine regelrechte Schmutzkampagne angezettelt wird, will Vicky ihre Kindern dieser Belastung nicht länger aussetzen. Da die Kundinnen ausbleiben, steht sie zudem auch quasi vor dem finanziellen Aus. Kann die drohende Schließung noch aufgehalten werden oder ist Vicky Lebenstraum zum Scheitern verurteilt?                                                                                     

Eintauchen in die Berliner Bohème

Die Autorin Joan Weng hat über die Literatur der Weimarer Republik promoviert und diese Kentnisse und Affinität zu der Epoche spiegelt sich in ihren Büchern absolut positiv wieder. Bisher sind zwei Krimis und ein weiterer Roman erschienen, die ebenfalls im Berlin der Zwanziger Jahre spielen und durch die Auswahl der Personen in lockerem Zusammenhang stehen. So ist der ermittelnde Kommissar der Kriminalromane Paul Genzer, Willis Bruder und im anderen Band steht die Kundin und Unterstützerin Vickys Fritzi von Keller im Mittelpunkt.
In dem Mikrokosmos ihrer Geschichten macht Weng die Atmosphäre dieser Zeit anschaulich erlebbar. Ihr Berlin der Goldenen Zwanziger ist dabei nicht so ekstatisch wie man es aus den Romanen Volker Kutschers und der darauf basierenden Serie Babylon Berlin kennt, aber zeigt sich aus heutiger Sicht trotzdem erstaunlich weltoffen und fortschrittlich. Bambis vegetarische Überzeugung ist zum Beispiel ganz typisch für die Reformbewegung dieser Jahre. Weit vor der aktuellen Debatte um vegetarische-oder vegane Lebensweise. Und Homosexualität oder sexuelle Freiheit sind keine Tabus. Dass Vicky als Metzgereiverkäuferin ganz zwanglos in den Künstlerkreisen der Bohème verkehrt, mutet dabei etwas sonderbar an, aber die Autorin findet dafür   ganz einfallsreiche Begründungen. Sie fängt zudem auch die Kehrseite des pulsierenden Zeitgeists ein und beschreibt als Gegenbewegung das Erstarken von Konservatismus, Nationalismus und daran gekoppelt Antisemitismus in den Weimarer Jahren.
Das stimmige Gesamtbild resultiert aus detailgetreuen Beschreibungen und dem Einfließen realer Fakten. Etwa wenn sie an die Pariser Buchhandlung Shakespeare und Company erinnert. Vor allem auch aus dem sorgfältigen Sprachgebrauch mit für Berlin und der Zeit typischen Ausdrücken und Redewendungen. Neben den sympathischen Hauptcharakteren erhöht ein Personenkarussel weiterer Figuren in Nebenhandlungen und Verstrickungen facettenreich die Authenzität der Erzählung. Da gbt es zum Beispiel die lebensfrohe Lisbeth, Vicky beste Freundin und Mitarbeiterin mit ihrem emanzipiertem Singledasein oder Vickys katzenhafte Vermieterin Mietzi, deren Charme der Metzgersgeselle erliegt, die Fronten wechselt und sich von der SA lossagt.

Buchhandlung mit Courths-Mahler und Co

In der Haupthandlung spielt die Eröffnung und der Fortbestand der Buchhandlung eine zentrale Rolle. Ein Buchladen für Frauen, kombiniert mit einer Leihbücherei. Vicky bietet dort ausschließlich Bücher an, „die glücklich machen und ein wenig vergessen lassen, wie schlimm die Welt ist.“ Sie will ihren Kundinnen Freude bereiten. Den Tipp-, Ladenfräulein und Dienstmädchen etwas Ablenkung von der eigenen harten Realität schenken. So wie die Romane der zeitgenössischen populären Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler das können, für die sie schwärmt. Eine Art von Bücher, die sie vehement gegen den Vorwurf verteidigt, mit geistigem Sirup, den Verstand der Leserinnen zu verkleben. Mit ihrer Volksschulbildung ist sie mit  Werken anspruchsvollerer Literatur weniger vertraut und holt sich daher Rat bei der emanziperten Autorengattin Fritzi. So finden sich in den Regalen auch Klassiker wie Effi Briest, Anna Karenina oder Jane Eyre, Werke von Selma Lagerlöf, Gedichte von Else Lasker-Schüler und, und, und.

Fazit:

Joan Wengs literarische Zeitreise in die Jahre der Berliner Bohème ist beste Unterhaltung, mit sympathischen Charakteren leicht erzählt vor authentischer Kulisse. Top, die gelungene Mischung aus Romantik, lösbarer Widrigkeiten und Wunschträumen. Also genau die richtige Dosis an Sirup, um den Alltag, der Bürofachfrau, Storemitarbeiterin oder Raumpflegerin, den arbeitenden Fräulein und Dienstbotinnen von heute, zu versüßen. Wengs Roman würde in V. Genzer- Buchladen für Liebesromane mit Sicherheit zum Verkaufsschlager.

Die Frauen vom Savignyplatz

Joan Weng, Aufbau

Die Frauen vom Savignyplatz

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