Mehr als tausend Worte

Mehr als tausend Worte
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Monika Wenger
781001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2019

Lesenswert, allein wegen der historischen Bedeutung.

Die siebzehnjährige Aliza lebt zusammen mit ihrer Familie in Berlin Ende der dreissiger Jahre. Als Juden bekommen sie immer häufiger die auferlegten Einschränkungen und die Gewaltbereitschaft der Nazis zu spüren. Noch steht die Familie unter einer Art Schutz des Blockwartes Karoschke. Aber es ist eine Frage der Zeit, bis auch er die Familie Landau nicht mehr vor Übergriffen wird schützen können. Als die Repressionen immer mehr zunehmen, beschliesst die Familie, ihre Tochter Aliza nach England in Sicherheit zu bringen.

Als Tochter des jüdischen Arztes Samuel Landau ist Aliza behütet und in guten Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Grossvater besitzt ein grosses Haus in Berlin, welches die Eltern und Grosseltern gemeinsam bewohnen. Eines Nachts wird der Grossvater von der Gestapo abgeholt. Er wird mehrere Tage festgehalten. Mit scheinbarer Unterstützung von Blockwart Karoschke kann Samuel Landau Senior wieder nach Hause zurückkehren. Nach diesem Zwischenfall steht ausser Zweifel, dass sich die Lage für alle jüdischen Einwohner verschlimmert. Das Vermögen sowie Besitztümer werden konfisziert, nächtliche Überfälle und Verhaftungen durch die Gestapo nehmen zu.

Die Eltern Landau beschliessen, Aliza, ihre Tochter, mit Hilfe eines Kindertransportes nach England in Sicherheit zu bringen. Dass die ganze Familie aus Deutschland ausreisen könnte ist auf Grund der zu leistenden, horrenden Reichsfluchtsteuer nicht möglich. Aber wenigstens das Mädchen soll, weg von allen Gefahren, weiter die Schule besuchen können und wenn sich die Zeiten bessern, zurückkehren.

Samuel Landau Junior fühlt sich seinen Patienten verpflichtet und will weiterhin als Arzt in Berlin arbeiten und helfen, obwohl ihm das als Jude bereits durch die Nazis untersagt worden ist. Er hofft inständig, dass sich die Situation im Land rasch verbessert. Doch wie wir heute wissen, war dies erst der Anfang!

Die Geschichte um Aliza und ihre Familie thematisiert die Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg. Der Roman beginnt im Februar 1938 mit der Verhaftung des Grossvaters von Aliza und endet im Herbst 1945 mit der Rückkehr von Aliza aus England.

Interessant ist die Sicht, aus der dieser Roman erzählt wird. Einerseits der alltägliche Kampf der Juden ums Überleben in Berlin. Das Spüren des sich langsam anbahnenden Unheils. Der Glaube, dass es wohl nicht ganz so schlimm werden wird. Andererseits das Verhalten der Nazis, wie zum Beispiel in dieser Geschichte Karoschke, der Blockwart, welcher sich auf Kosten der Familie Landau bereichert und sich nimmt, was ihm scheinbar gebührt. Seine wahren Absichten wohl wissentlich verbergend, aber immer zur Stelle, gibt er ihnen das Gefühl von Sicherheit in diesen turbulenten Zeiten. Was für ein Irrtum!

Im Buch werden ebenfalls die sogenannten Kindertransporte thematisiert. Unvorstellbar, dass bereits Drei- und Vierjährige nach England geschickt worden sind. Wenn auch in bester Absicht, da die Eltern ihre Kinder in Sicherheit bringen wollten. Leider hat sich im Verlauf des Krieges das Verhalten der Engländer gegenüber diesen jüdischen Kindern geändert. Als England in den Krieg gegen Deutschland eingetreten ist, wurde aus Freunden Feinde. Somit waren diese Kinder und Jugendlichen auch in der Fremde Angriffen und Repressionen ausgesetzt.

Als wäre das alles nicht genug, begann für sie nach ihrer Rückkehr in die Heimat die grosse Suche nach ihren Familienangehörigen.

Das Buch «Mehr als tausend Worte» behandelt mehrere Aspekte dieser schrecklichen Zeit, wird diesen aber nicht annähernd gerecht. Beim Lesen entsteht rasch der Eindruck einer etwas oberflächlichen Handlung. Die Geschichte wankt zwischen Historien- und Liebesroman und vermittelt dem Leser am ehesten einen Einblick in das Leben in England. Dabei gäbe es eigentlich viele Möglichkeiten, dem Inhalt zu mehr Spannung und Tiefe zu verhelfen. Zum Beispiel mehr Informationen zu den Kindertransporten, dem Beziehungsdilemma zwischen Juden und „Ariern“, den Trümmerfrauen und schlussendlich die Suche nach Angehörigen und der Rückerstattung von konfisziertem Besitz nach dem Krieg. Diese Details werden nur am Rande gestreift. Trotzdem: das Buch ist lesenswert, allein wegen der historischen Bedeutung.

Mehr als tausend Worte

Lilli Beck, Blanvalet

Mehr als tausend Worte

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