Bewahren Sie Ruhe

  • London: Penguin Books, 2017, Titel: 'Do Not Become Alarmed', Seiten: 352, Originalsprache
  • Zürich: Kein und Aber, 2018, Seiten: 432
Bewahren Sie Ruhe
Bewahren Sie Ruhe
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Sebastian Riemann
771001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2018

Albtraum in den Tropen

Eine Kreuzfahrt ist genau das richtige, um zu entspannen und die Sorgen des Alltags hinter sich zu lassen. Dabei kann man sich die Zeit am Pool, auf den Sonnenliegen, beim Sport oder einfach beim ausgiebigen Buffet vertreiben. Man kann sich Zeit nehmen für Dinge, die sonst nicht wichtig genug oder einfach überflüssig sind. Es ist eine besondere Art des Urlaubs, bei der man sich um nichts kümmern muss. Denn nichts wichtiges und nichts dringendes stört die Kreuzfahrtgäste, sie haben alle Zeit der Welt. Sie bewegen sich nur zwischen den verschiedenen Decks auf und ab, ohne Eile und ohne Verpflichtungen. Die größten Entscheidungen, die sie fällen müssen, betreffen ihre Kleidung für das Abendessen, ob sie beim nächsten Halt des Schiffes aussteigen und die Stadt besichtigen möchten.

Zwei Familien aus Kalifornien buchen gemeinsam eine Kreuzfahrt. Die beiden Frauen sind Cousinen und beste Freundinnen, sie reden über alles und verbringen viel Zeit zusammen. Da ist es nur naheliegend, auch den Urlaub gemeinsam zu verbringen. Die Kinder der beiden Familien kennen sich ebenfalls, auch sie verbringen öfters Zeit miteinander. Alle freuen sich auf die Fahrt, auf eine besondere Reise, die sie in dieser Form noch nicht unternommen haben.

Auf dem Kreuzfahrtschiff wird für jede Altersklasse etwas geboten, die Kinder werden unterhalten und können ausgiebig spielen, während die Eltern sich ausruhen und nicht um die Kleinen kümmern müssen. Es ist angenehm, beruhigend, aber auch ein wenig langweilig. Denn letztendlich gibt es nicht viel zu tun auf dem Schiff. Als die beiden kalifornischen Familien beim Abendessen eine argentinische Familie kennenlernen, lassen sie sich bereitwillig zu einer Exkursion in Costa Rica, dem nächsten Halt auf der Route, überreden. Sie sehen ein, dass sie vom Schiff runter müssen, ansonsten würde die ganze Entspannung und Ruhe noch ins Gegenteil umschlagen. Die Männer vereinbaren einen Trip zur Golfanlage, die Frauen nehmen die Kinder mit in den Wald, wo sie zwischen den Bäumen umherfliegen wollen. Ein kleines, angenehmes Abenteuer in einem tropischen Urlaubsland. Das hört sich gut an.

Dann aber geschieht das Undenkbare. Während des Ausflugs verschwinden die Kinder. Es ist zuerst nicht klar, was genau passiert ist. Dann aber beginnt die Polizei zu ermitteln und findet erste Hinweise. Sie stellen fest, dass die Kinder nicht nur verlorengingen, sondern auch noch Zeuge wurden, wie eine Leiche im Dschungel verscharrt wurde. Das organisierte Verbrechen ist involviert. Für die Eltern bricht eine Welt zusammen. Aus der Sorglosigkeit einer Kreuzfahrt fallen sie in den größtmöglichen Alptraum. Ihre Kinder sind vielleicht tot, vielleicht in der Hand von Kriminellen.

Maile Meloy erzählt von einer brutalen Welt, die jene kalifornischen Familien weit weg glaubten. Entführungen und Morde waren Dinge, die sie im Fernsehen sahen, die aber nicht in ihrer Nähe stattfanden. Sicher und geborgen fühlten sie sich stets. In ihrer heilen Welt im modernen Kalifornien. Sie hatten Wohlstandssorgen. In Costa Rica holt sie jedoch eine andere Realität ein und bedroht ihr Glück. Alles droht zugrunde zu gehen, die Nerven liegen blank und Hilflosigkeit breitet sich aus.

Die Autorin erzählt zum einen von den besorgten Eltern, von ihren Bemühungen, die Ruhe und einen klaren Kopf zu bewahren, sowie in Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei die Spur der Kinder zu verfolgen. Zum anderen zeigt sie dem Leser auf, wie es den vermissten Kindern ergeht. Ihre Ängste im Haus ihrer Entführer werden dargestellt, aber auch ihre kindlich naive Weltsicht im Angesicht der bedrohlichen Umstände. Dabei kommt es zur Flucht und zahlreichen Abenteuern, die auf die Kleinen warten und ihnen alles abverlangen.

Familiendrama vor exotischer Kulisse wird im Buch mit Zivilisationskritik vermischt. Das ist durchaus interessant und verleiht den Personen eine menschliche Tiefe, die überraschend bis abschreckend wirkt, den Leser aber immer gut unterhält. Insofern ist Bewahren Sie Ruhe ein gelungener Roman zum Nachdenken und Hinterfragen. Es zeigt die feine, dünne Schicht der Kultur auf, die leicht zerreißt. Dahinter offenbart sich dann ein Abgrund, in dem man vergebens nach Halt sucht.

Weniger gelungen sind die kindlichen Stimmen, die sich zwischen einfältig und naiv auf der einen Seite und furchtlos auf der anderen Seite bewegen. Die Kinder werden zu Helden wie im Märchen, verlieren dabei ihren Humor nicht und bleiben Herr der Lage. Sie sind es, die am Ende ihre Eltern vor dem Nervenzusammenbruch bewahren. Sie begegnen der grausamen Situation und finden einen Weg hinaus, während die Erwachsenen verzweifeln. Das kann bezaubernd sein, passt aber nicht sonderlich gut zu einem Buch, das einen realen Schrecken darstellen will.

Bewahren Sie Ruhe

Maile Meloy, Kein und Aber

Bewahren Sie Ruhe

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