Und bis es so weit ist, gibt es Eiscreme

  • Hamburg: CultureBooks, 2017, Seiten: 240, Originalsprache
Und bis es so weit ist, gibt es Eiscreme
Und bis es so weit ist, gibt es Eiscreme
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Sebastian Riemann
731001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2018

Was erleben wollen

Bei Demonstrationen gegen die Castor-Transporte kann man viel erleben und das ist es, was die beiden Freunde aus Berlin sich vorgenommen haben. Sie sind Schriftsteller, wollen sich ins wilde Leben stürzen, um davon erzählen zu können. Auf Abenteuer sind sie aus, damit es ihnen zum Stoff für eine Erzählung oder einen Roman reicht, und auf Frauen, die sie bei den Demonstrationen kennenlernen wollen. Protestieren ist interessant und sexy, genau das richtige für die beiden, auch wenn sie sich für die Sache eigentlich nicht interessieren.

Die beiden sind jung und die meiste Zeit bekifft. Wann immer sich ihnen die Gelegenheit bietet, rollen sie einen Joint und genießen das Kraut, das sie bei sich tragen und vor der Polizei verstecken. Sie geben sich dabei als britische Journalisten aus, um sich Unannehmlichkeiten zu ersparen. So können sie Kontrollen passieren und leichter an den Ort des Geschehens gelangen, müssen nicht die Wege in Kauf nehmen und sich der Gefahr aussetzen, wie es die normalen Protestanten machen. Mit akzentfreiem Englisch und ausreichend Selbstbewusstsein ausgestattet geht Jäger auf die Polizisten zu, stellt sich mittels gefälschtem Presseausweis vor und verlangt ein paar Informationen über den aktuellen Stand der Dinge. Manchmal läuft er dabei Gefahr, enttarnt zu werden, aber letztendlich macht Jäger stets das, was Jäger am besten macht: Er redet sich aus der Sache heraus, so wie nur er es kann. Sein bester Freund und vermeintlicher Journalistenkollege, der Ich-Erzähler, ist davon immer wieder fasziniert. Meist steht er nur stumm und ängstlich schwitzend daneben und hofft, dass der Betrug mit den Presseausweisen nicht auffliegt, sie nicht mit auf die Wache genommen werden, wo man ihr Gras entdecken und sie in richtige Probleme verwickeln wird. Er hat nicht das Selbstbewusstsein, wie Jäger es hat.

Auf ihrer Reise durch das Wendland machen die beiden Berliner Schriftsteller neue Freunde und werden von diesen in der Geschichte der Region unterrichtet. Sie erfahren, warum die Leute weiterhin im Wendland leben wollen, aber auch welche Formen des Widerstands es gab und gibt. Die freie Republik Wendland als utopischer Gegenentwurf zur Bundesrepublik ist dabei von besonderem Interesse und fasziniert die beiden Unkundigen aus der Großstadt. Sie wussten nicht, dass für einen Monat ein kleiner Staat im Staat existierte, mit eigenem Pass und Radiosender. Auch Gerd Schröder war damals zu Besuch, wird berichtet. Aber ihm ging es wohl eher um die Fernsehbilder als um eine alternative Form des Zusammenlebens.

Zwei junge Kiffer mit Sinn für Humor und viel Zeit, um fernzusehen, sind besondere Erzähler. Ihre Unterhaltungen nehmen ständig Bezug auf Filme oder Serien, mit denen sie vertrauter sind als die meisten Menschen. Dementsprechend muss der Leser ein gewisses Grundwissen mitbringen, um sich nicht in den zahlreichen Referenzen zu verlieren. Er sollte wissen, wer der „Dude“ ist, den man auch als „El Duderino“ ansprechen kann, wenn einem die Kurzformen nicht liegen. Natürlich muss man die wichtigsten Parteien aus „Game of Thrones“ kennen und vieles mehr, was man vor der Glotze mit einem Joint genießen kann. Es braucht also eine Mischung aus aktuellem Fernsehwissen und nerdigen Spezialkenntnissen.

Wer die Referenzen nicht versteht, ist aufgeschmissen. Die Namen, unter denen die beiden als Journalisten unterwegs sind, stammen aus einer britischen Fernsehserie, die – wenn man den beiden Protagonisten des Buches Glauben schenkt – einzigartig war und sich von anderen Serien abhob. Das ist gut möglich und mag viele Anspielungen erklären, lässt denjenigen, der die Serie aber nicht kennt, an vielen Stellen humorlos und gelangweilt zurück. Das ist schließlich das Problem mit Verweisen auf die Film- und Fernsehwelt.

Und bis es so weit ist, gibt es Eiscreme ist ein frisches und unterhaltsames Buch, in dem der Autor alle wichtigen Elemente zusammenbringt, damit der Leser vergnügt bei der Sache bleibt. Die beiden Hauptfiguren sind sympathisch und wachsen schnell ans Herz, es gibt etwas zu lernen über die Geschichte des Wendlands und die Castor-Proteste und letztendlich wird der Geschichte noch das nötige Drama verliehen, um nicht allzu leicht daherzukommen. Ein cooles, nerdiges Buch mit viel Gras und flotten Sprüchen.

Und bis es so weit ist, gibt es Eiscreme

Martin Spieß, CulturBooks

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