Selfie mit Sheikh

  • Berlin: Luchterhand, 2017, Seiten: 256, Originalsprache
Selfie mit Sheikh
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Sebastian Riemann
841001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2018

Fremd und verunsichert, aber mit großer Neugier ausgestattet

Die islamische Welt zu bereisen ist nicht nur ein umfangreiches, sondern auch ein ungewöhnliches Unternehmen in Zeiten, da die meisten Leute dem Islam nicht Interesse und Neugier entgegenbringen, ihn vielmehr ablehnen und als bedrohlich empfinden. Viele wollen sich von der arabischen Hemisphäre distanzieren, einen Bogen um sie machen. Schließlich wissen die Zeitungen und das Fernsehen nur Schlimmes aus diesen Regionen zu berichten, zeigen gewaltsame Auseinandersetzungen, blutige Macht- und Religionskämpfe. Wenig einladend erscheinen diese Orte und ihre Bewohner. Allzu naheliegend und leicht mag die Abweisung sein. Jedoch gibt es auch Menschen wie Christoph Peters, die sich von solchen Bildern und Vorurteilen nicht abschrecken lassen, sich auf den Weg machen und diese andere Welt mit eigenen Augen sehen wollen, dabei offen sind für neue Eindrücke und Ideen.

Im Erzählband Selfie mit Sheikh nimmt Christoph Peters den Leser mit auf eine Reise durch verschiedene islamisch geprägte Länder. Ägypten, Saudi-Arabien, Pakistan und die Türkei sind Stationen, auf denen der reisende Erzähler mit Menschen in Kontakt kommt, die mit der Religion mehr oder weniger eng verbunden sind. Die Geschichten sind kleine Szenen. Momentaufnahmen, in denen Peters Nähe und Distanz, Vertrauen und Verdacht, Angst und Freude aufzeigt. Ein Kontrastprogramm stellen viele Erzählungen dar, spielen sie doch mit den Erwartungen der Leser und dem Bild, das viele vom Islam und den Verhältnissen in islamischen Ländern haben.

Bei einem Treffen mit politisch aktiven Freunden in Ägypten kommt der Erzähler in Bedrängnis. Sie laden ihn ein, seine Unterschrift auf eine Liste zu setzen, um sich gegen die neue Regierung unter dem gewählten Präsident Mursi zu positionieren. Ein Präsident der Muslimbruderschaft sei schlimmer als ein Militärdiktator, sagen sie, auch wenn er von der Bevölkerung demokratisch gewählt wurde. Es brauche eine Konterrevolution. Mithilfe der Unterschriften wollen sie den Druck auf die Regierung erhöhen. Sie diskutieren und ereifern sich. Mittendrin sitzt der Erzähler der Geschichte, unsicher und unwohl. Am liebsten würde er sich aus dieser politischen Diskussion heraushalten. Zu wenig weiß er über die politischen Veränderungen, fühlt sich nicht qualifiziert, über Ägyptens Zukunft zu debattieren. Aber die anderen bedrängen ihn, wollen seine Unterstützung für die Sache, von der sie annehmen, dass es auch seine Sache sei.

Beängstigende Gedanken machen dem Erzähler dieses Zusammentreffen zur Qual. Immerzu muss er an den ägyptischen Geheimdienst denken. Mit Protest wird nicht nachsichtig umgegangen, es wird nicht auf Dialog und Meinungsvielfalt gesetzt, sondern auf die Herrschaft einer vorherrschenden Meinung. Sollte sein Name auf der Liste landen, könnte der Geheimdienst auf ihn aufmerksam und dann würde es sehr unangenehm werden. Andererseits will er seine Freunde nicht vor den Kopf stoßen und die Unterschrift verweigern. Als Feigling will er auch nicht dastehen. Er ist verunsichert gegenüber der politischen Entwicklung und den Menschen, weiß zugleich nicht, wie er seine eigenen Ängste einschätzen soll.

Ohne Scheu zeigt Christoph Peters Ideen auf, die im christlich geprägten Europa üblich sind, und stellt sie auf die Probe, hinterfragt sie und geht den Erfahrungen, die man als Fremder in der arabischen Welt sammeln kann, auf den Grund. Dabei übergeht er weder die Angst noch das Gefühl der Fremdheit, das sich beim Erzähler regelmäßig einstellt. Vielmehr greift er sie auf und spielt mit ihnen, wodurch er den Geschichten eine besondere emotionale Note verleiht, die dem Ganzen viel Authentizität und Tiefe verleihen.

Die Vorstellung von aggressivem Vorgehen gegenüber Fremden ist ein weiteres Motiv, mit dem sich der Erzähler auseinandersetzen muss. Ähnlich den Ängsten in Ägypten glaubt er bei einem Zusammentreffen mit pakistanischen Sicherheitstreffen an sein nahes Ende. Er hat Fotos von Gebäuden gemacht, die von hoher Bedeutung und deshalb gern Anschlagsziel von Terroristen sind. Seine Fotos könnten der Vorbereitung eines Anschlages dienen. Er wird abgeführt, es wird viel telefoniert, er will sich erklären und Freunde hinzuziehen, die für ihn bürgen können. Das Bild eines elenden Gefängnisses in Pakistan drängt in seinen Kopf. Schon glaubt er, nie wieder in seinem Leben die Heimat erblicken zu können.

In Mekka muss er sich als Gläubiger beweisen, muss Rede und Antwort stehen. Denn Ungläubigen ist der Aufenthalt an den heiligen Stätten verboten. Wieder schleicht die Angst in seine Gedanken und lässt sein Gedächtnis erlahmen. Ertappt und entlarvt glaubt er sich, dem Zorn der religiösen Autoritäten ausgesetzt.

Neben den Erlebnissen in der arabischen Welt berichtet Peters auch von Deutschland und den Sorgen, die man sich dort aufgrund der Islamisten und der Bedrohung für das eigenen Leben macht. In einer äußerst unterhaltsamen Erzählung geht er in die Vergangenheit und tauscht die Bedrohung durch die Islamisten gegen die Chemiewaffen von Saddam Hussein. Der Protagonist leidet unter Wahnvorstellungen, sieht überall mögliche Anschlagsziele und ist den ganzen Tag nur damit beschäftigt, sich in Sicherheit zu bringen und die eigenen Ängste im Zaume zu halten. Während er Nahrungsmittel hortet, um auf alles gefasst zu sein, hört er von der Reichweite irakischer Chemiewaffen. Der Krieg und das Ende scheinen nahe.

Selfie mit Sheikh ist kein ausschmückendes Buch, es finden sich in ihm keine Darstellung der exotischen und fernen Welt, weder leuchtendes Türkis noch arabeske Architektur. Christoph Peters geht es um Vorstellungen und Vorurteile, um die Art wie wir miteinander umgehen, uns einander nähern und voneinander entfremden. Er verziert seine Erzählungen mit Mitmenschlichkeit und Neugier, verleiht ihnen somit Schwere und Schönheit.

Selfie mit Sheikh

Christoph Peters, Luchterhand

Selfie mit Sheikh

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