Swing Time

  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2017, Titel: 'Swing Time', Seiten: 640, Übersetzt: Tanja Handels
Swing Time
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Claire Schmartz
851001

Belletristik-Couch Rezension vonJan 2018

Die Geschichte einer Freundschaft und ihrer Zeit – mit Elena Ferrantes Neapolitanischer Saga scheinen realistische Bildungsromane über lebenslange Freundschaften zweier unterschiedlicher Frauen wieder in Mode gekommen zu sein. Auch Zadie Smiths fünfter Roman wählt die Freundschaft zweier Tanzschülerinnen als Ausgangspunkt ihres Panoramas der heutigen Gesellschaft.

Als junge Mädchen lernen sich die Erzählerin und Tracey beim Tanzunterricht in einem Londoner Vorort kennen. Die beiden haben nicht nur die gleiche Hautfarbe, sondern sie verbinden auch ihre Leidenschaften und Ziele: Beide träumen davon, Tänzerin zu werden, doch nur Tracey wird Erfolg haben. Die namenlos bleibende Erzählerin ist kritisch und klug – stellt Fragen nach Hautfarbe und Zugehörigkeit. Die Erzählerin weiht die Leser*innen in ihre Träume von Musik und Musicals ein, führt ihn ein in ihre Welt aus Rhythmen, gewissermaßen dem Puls der Zeit, dem die beiden Freundinnen ihr Leben lang folgen werden. Das Ziel der Erzählerin ist es, die Nachbarschaft des Londoner Vorortes hinter sich zu lassen und ‚etwas zu erreichen‘. Fleißig, wenn auch als Tänzerin weniger begabt als Tracey, erreicht die Erzählerin diesen Traum als Assistentin von Aimee, australische Sängerin und internationaler Popstar, und reist mit ihr um die Welt. Auch hier ähnelt sich die Konstellation der Figuren in Zadie Smiths Swing Time und in Elena Ferrantes Quadrologie. Die talentiertere Tracey hingegen ist so selbstbewusst wie selbstzerstörerisch: rebellisch, widerspenstig und selbstbestimmt, steht für sie fest, dass sie tanzen will. Als sie erste Rollen in Musicals bekommt, trennen sich die Wege der Freundinnen.

Die Leser*innen folgen der namenlos bleibenden Erzählerin an der Seite der Sängerin Aimee und begleitet sie auf ihren Trips durch die ganze Welt. Und hier startet die Erzählung von Swing Time glamourös und abenteuerlich durch. Der Roman jetsettet von Kontinent zu Kontinent und nimmt uns mit auf eine Reise durch verschiedene Rhythmen und Musik. Dabei vermischen sich im Laufe des Romans die verschiedenen Ebenen der Erzählung: von der Freundschaft über die Turbulenzen des Lebens, gelingt es der Erzählerin, einen präzisen Blick auf die sie umgebende Welt und Gesellschaft zu werfen. Auf der Suche nach Zugehörigkeit, Identität, der Rückbesinnung auf die Bedeutung von Ursprung und Sein rücken vor allem die Veränderungen in den Vordergrund, die die Frauen durchlaufen, die an ihrem Leben und den Herausforderungen wachsen, guter alter Bildungsroman, den alltäglichen, menschlichen und allgemeinen Fragen nach Themen wie Identität, Emanzipation, Feminismus, Rassismus, die Gesellschaft und ihre Kultur. Ismen, wie die Mutter der Erzählerin diese Themen liebevoll-verniedlichend nennt, die als Randgestalten, Reliquien der Zeitumstände auftauchen und eher oberflächlich eingeflochten werden als theoretisch erfochten. Aber das passt, denn die beiden Frauen sind den Zeitumständen unterworfen und suchen ihren Ort inmitten der alltäglichen Herausforderungen um Job, Tanz und Musik.

Auf ihrer Suche nach einem Ausweg aus der Londoner Vorstadt ist die Möglichkeit zur Veränderung das, was die Erzählerin von Anfang an antreibt, aber auch alle anderen Figuren beflügelt: Auch die Sängerin Aimee stammt aus der australischen Provinz und ist zum weltberühmten Popstar geworden; auch Travey schafft es, ihren Traum von Musicals am West End Theatre zu erfüllen; auch die Mutter der Erzählerin hat den Aufstieg geschafft. Veränderungen bleiben im Fokus, der Wandel der Figuren, der beiden Freundinnen, aber ebenfalls ihrer Freundschaft. Die Frauen in Swing Time streben nach etwas anderem, etwas, als das sie nicht sind und erfinden, definieren sich dabei neu; auch wenn nie klar sein kann, was dieses Andere denn tatsächlich sein wird. Der Wandel ist dabei essentiell, die Möglichkeit des Anders-Werdens, das Potential der Flucht vor dem, was man mal war, auf der Suche danach, was man sein könnte – oder bereits die ganze Zeit gewesen ist? Doch auch dieses Andere steht stets in Bezug zu ihnen selbst und ihrer Vergangenheit – und in Beziehung zu der Londoner Vorstadt und ihrer Freundschaft. Ein weiterer Verweis auf einen gegenwärtigen Roman bietet sich an: Salman Rushdies Golden House, ebenfalls eine Erzählung, die sich mit Identität(-skonstruktionen) in den Vereinigten Staaten der self-made-men auseinandersetzt und dabei virtuos ein Gesellschaftspanorama des beginnenden 21. Jahrhunderts entwirft, so turbulent, vielgestaltig und wechselhaft wie das Leben der Freundinnen in Zadie Smiths Swing Time. Was macht den Erfolg und die Stärke dieser Art Romane, mal realistisch-psychologisierend, mal verzaubert-verstrickt, für heutige Leser*innen aus? Fragen nach Identität und Zugehörigkeit, Familie, Freundschaft – und Heimat; Fragen, die viele Leser*innen sich heute stellen: Was hält uns, was bleibt, wenn alles sich verändert? Ist es die Weitsicht, mehr als eine einfache Geschichte, sondern ein Stück der Geschichte und ihrer Fragen geschrieben zu haben, dessen Fragen auch kommende Generationen an Leser*innen bannen und beschäftigen werden?

Als Aimee in Afrika den Bau einer Schule organisieren will, reist die namenlose Erzählerin ihr voraus und lässt sich durch das Land, in dem sie ihre Wurzeln sucht-sieht-findet, verzaubern und aus dem Rhythmus bringen. Denn in Gambia lernt die Erzählerin Hawa kennen, die ebenfalls weg will, anders werden will, und muss alles überdenken ...

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