Die Kostbarkeiten von Poynton
- Manesse Verlag
- Erschienen: Januar 2017
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- München: Manesse Verlag, 2017, Titel: 'Die Kostbarkeiten von Poynton', Seiten: 288, Übersetzt: Nikolaus Stingl
Möbel über Menschen
Fleda Vetch saß zufällig auf einer Bank im Hause der Brigstocks, als sie von Mrs. Gereth entdeckt und in ein Gespräch verwickelt wurde. Die beiden Damen, die eine jung und ruhig, die andere schon in die Jahre gekommen und aufgebracht, unterhielten sich über die Einrichtung des Hauses, in dem sie zu Gast waren. Mrs. Gereth war erleichtert, jemanden gefunden zu haben, dem sie sich und ihre Abneigung gegenüber dem schlechten Geschmack der Gastgeber anvertrauen konnte. Sie wandelte durch das große Haus und konnte es schlichtweg nicht ertragen, wie es eingerichtet war. Überall, in jeder Ecke, in jedem Zimmer, zeigte sich die Geschmacklosigkeit der Brigstocks. Es war eine Zumutung für eine so feinsinnige Frau wie Mrs. Gereth. Deshalb brachte das Gespräch mit Fleda wahrhaftige Erleichterung. Die beiden konnten zusammen über die Möbel, die Teppiche und Schmuckstücke lästern. Beide Frauen verband sofort die gleiche Abneigung. Jedoch war es mehr als nur eine Meinung bezüglich der häuslichen Ausstattung, es war, so stellt man im Verlauf der Lektüre fest, eine Lebenseinstellung. Die Frage des Geschmacks verband die beiden Damen nicht auf einer oberflächlichen Ebene. Sie redeten nicht über die Möbel, um sich die Zeit zu vertreiben oder um höflich zu sein. Sie mussten geradezu über dieses Thema reden, da es ihnen in diesem furchtbaren Haus schwer auf der Seele lag. Deshalb soll es den Leser auch nicht verwundert, dass ein Gespräch über Stühle, Kerzenleuchter und Geschirr im Zentrum des Buches steht und die Beziehung der beiden wichtigsten Figuren definiert. Mrs. Gereth und Fräulein Fleda wurden engste Freundinnen, unzertrennlich und innigst verbunden.
Natürlich sind Möbel mehr als nur Möbel. Sie sind Repräsentanten der Klasse, der man angehört, sie zeigen Bildung und Geschmack, Reichtum und Ästhetik. Das ist heute nicht anders als damals zu Zeiten Henry James´ und seines Romans. Anders als wohl zu erwarten wäre, baut James jedoch nicht gesellschaftliche Unterschiede zwischen den einzelnen Figuren auf, die als Fundament für die Möbel bezogene Abneigung dienen könnten. Mrs. Gereth kommt aus sehr feinem Hause und so läge es nahe, dass sie die Brigstocks als gering und billig ansieht, nichts mit ihnen zu tun haben möchte aufgrund fehlender Titel und Vermögen. Aber nein, diese Annahme wird zunichte gemacht durch den Stand Fledas, die gesellschaftlich viel niedriger steht als Mrs. Gereth, von dieser aber über alles geschätzt wird. Wenn sie die Brigstocks aufgrund ihres fehlenden Reichtums nicht ausstehen könnte, dürfte sie Fleda keines Blickes würdigen. Der Standesunterschied der beiden Damen mag aber nicht verhindern, dass großes Vertrauen zwischen ihnen entsteht, während für die Brigstocks nur Ablehnung übrigbleibt. Das Geläster über die Einrichtung ist kein herablassender Blick einer alten, reichen Frau auf eine weniger reiche Familie. Es ist Ausdruck der inneren Qualen, die Mrs. Gereth empfindet beim Anblick unbedacht zusammengestellter Möbel.
Der Sohn von Mrs. Gereth will die junge Frau Brigstock heiraten. Grauen empfindet die edle Dame bei der Vorstellung, will und kann ihren Sohn dabei aber nicht beeinflussen. Doch zum wirklichen Problem wird die Angelegenheit erst, als entschieden wird, dass sie ihr altes Heim Poynton, welches sie über viele Jahre mit viel Liebe eingerichtet hat und über alles in der Welt schätzt, für ihren Sohn und die künftige Schwiegertochter räumen soll. Verzweifelt und wütend wendet sie sich an Fleda, sie soll ihr helfen, das drohende Unheil abzuwenden und die Kostbarkeiten von Poynton vor dem schlechten Geschmack der Brigstocks zu bewahren. Fleda willigt ein, zwischen Mrs. Gereth und ihrem Sohn zu vermitteln. Dabei kommt sie dem jungen Mann näher, lernt seinen einfachen, mitunter dümmlichen Charakter, über den die Mutter nichts Gutes zu sagen hat, kennen und wertschätzen.
Henry James hat einen Roman geschrieben, in dem die Liebe für Möbel und das Schöne scheinbar über der Liebe für andere Menschen steht. Es wird intrigiert und gestritten, damit der schönen Einrichtung Gerechtigkeit widerfährt. Aber natürlich geht es um mehr. Das Spiel um Macht und Einfluss wird ohne Unterlass gespielt. Die Figuren umarmen und küssen sich, halten dabei aber ihre eigenen Absichten zurück, wie sie ein Messer hinter dem Rücken halten würden, wenn sie mit der Möglichkeit spielen würden, jemanden umzubringen. Die Möbel sind dabei so kostbar wie sie absurd sind.
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