Denen man vergibt

  • Wagenbach
  • Erschienen: Januar 2017
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  • New York: Vintage, 2014, Titel: 'The Forgiven', Seiten: 336, Originalsprache
  • Berlin: Wagenbach, 2017, Titel: 'Denen man vergibt', Seiten: 272, Übersetzt: Reiner Pfleiderer
Denen man vergibt
Denen man vergibt
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Sebastian Riemann
861001

Belletristik-Couch Rezension vonNov 2017

Das Recht in der Wüste

Eine Champagner Fontäne sprudelt inmitten der Wüste, sie schießt empor ins grelle Sonnenlicht, blitzt auf und ergießt sich in die trockene Erde. Nach kurzer Zeit versiegt das köstliche Nass aus der Flasche und nichts bleibt vom feuchten Sprudel, der gleich einer Sternschnuppe vergeht. Es ist ein kurzes Spektakel, ein verschwenderisches Schauspiel, das umso mehr erfreut, da es so kurzlebig ist und so unüberlegt erscheint. Doch darin besteht sein Reiz. Der Kontrast zur kargen Natur, die kaum Möglichkeiten zum Leben gibt, ist groß und lässt staunen. Champagner in der Wüste, an einem Ort, der sich durch Hitze und Entbehrung auszeichnet, der stets den Beigeschmack von Durst mit sich führt. Bizarrer Luxus – wer es sich leisten kann, ist dabei und gönnt sich einen Schluck.

Zwei Lebemänner haben einen Ksar im marokkanischen Niemandsland gekauft und ihn mit viel Geld ausgebaut. Aus aller Welt lassen sie Stoffe und Einrichtungsgegenstände einfliegen, damit es in der alten Anlage an nichts fehlt, was wohlhabende Damen und Herren aus Europa und Nordamerika vermissen könnten. Es soll eine Enklave des Luxus' und der Freude sein. In einem großen Pool kann man baden, in der Bibliothek Billard spielen oder einfach nur Gras rauchen, an den zahlreichen Bars alle möglichen Cocktails bestellen.

Es ist die große Party, zu der die beiden Gastgeber all ihre guten Freunde eingeladen haben. Sie wollen ein Wochenende voller Exzesse, Alkohol, Drogen, Sex, Völlerei und Spektakel. Ein Wochenende, das in Erinnerung bleibt und ihren Ruf als herausragende Partylöwen unterstreicht. In New York, Paris und London sollen sich die Leute von diesem Wochenende erzählen.

Außerhalb der Mauern des Ksar leben die Menschen in anderen Verhältnissen. Sie sind bitterarm, ihr Leben ist so karg wie die Wüste. Man könnte meinen, sie leben vom Sand, der ihnen vom Wind in den Mund geweht wird. Dünn und ernst sind sie. Überfluss kennen sie nicht. Söhne und Töchter der Wüste und des Islam. Gläubige.

Was sich innerhalb des Ksar abspielt, gefällt den meisten nicht. Zum einen beneiden sie die blassen Fremden um ihren Reichtum und ihre Leichtlebigkeit, die sich gedankenlos der Wüste widersetzen. Zum anderen verachten sie die Ausschweifungen, die gegen alle Regeln verstoßen, Lust und Freude über Moral und Bedeutung stellen. Die Genusssüchtigen aus dem Westen sind Ungläubige und als solche nicht willkommen. Doch niemand hat das Recht sie zu vertreiben, in ihrem ausgebauten Ksar können sie schließlich machen, was sie wollen. Den dürren Gestalten vor den Mauern bleibt nur die Verachtung und die heimliche Sehnsucht.

Ein Unfall wirft die beiden Seiten aufeinander. Angetrunken und wütend hat ein Gast auf dem Weg zum Ksar einen jungen marokkanischen Mann überfahren. Die Umstände sind nicht klar. Es geschah in der Nacht auf einer verlassenen Straße. Plötzlich und unerwartet habe der junge Mann vor dem Wagen gestanden, es blieb keine Zeit zum Ausweichen oder Bremsen. Seine Leiche liegt auf dem Rücksitz. Die Polizei wird gerufen. Das schöne, lange geplante Partywochenende droht ins Wasser zu fallen. Doch mit ein bisschen Geld wird man die Sache schon regeln können.

Dann erscheint der Vater des Verstorbenen. Er fordert den Leichnam und verlangt, dass der Fahrer des Wagens, der den Unfall verursacht hat, mit ihm mitkommt. Er soll ihn in sein Dorf begleiten, wo der Körper des Sohnes beigesetzt werden wird. In der Absicht, sich der Verantwortung zu stellen und einmal im Leben nicht nur an sich selbst zu denken, sagt der Fahrer des Unfallwagens zu. Seine Frau lässt er zurück mit all den Feiersüchtigen.

Die Selbstgerechtigkeit auf beiden Seiten steht im Mittelpunkt dieses hervorragenden Buches. Die verschiedenen Personengruppen verabscheuen sich gegenseitig, ertragen sich nur widerwillig, weil sie aufeinander angewiesen sind. Das beinhaltet Männer und Frauen, Gläubige und Ungläubige, Schüchterne und Draufgänger. Ihre Vorstellungen vom richtigen Leben prallen unversöhnlich aufeinander. Dabei glaubt sich jeder im Recht und unterstellt den anderen niedere Absichten.

Aber natürlich kann es nicht nur Selbstgerechtigkeit geben. Die Welt wäre unerträglich ohne Zuneigung, Empathie und Vergebung. Das Zusammenleben muss errettet werden.

Denen man vergibt zeigt nicht nur das Aufeinandertreffen zweier Lebensweisen auf, sondern auch menschliche Streben nach Harmonie und Miteinander. Es ist ein Hin und Her, es ist ein spannendes, sehr unterhaltsames und kluges Buch.

Denen man vergibt

Lawrence Osborne, Wagenbach

Denen man vergibt

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