Die Gebannte

  • Berlin: Matthes & Seitz, 2017, Titel: 'Die Gebannte', Seiten: 302, Übersetzt: Alastair
Die Gebannte
Die Gebannte
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Sebastian Riemann
821001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2017

Ein unheimlicher Priester in ungewissen Zeiten

Die Chouans waren Anhänger einer alten Ordnung, in der an höchster Stelle der König stand und mit dem Segen Gottes über seine Untertanen herrschte. Es war eine klar definierte Welt, in der jeder eine Position und eine ihm zugewiesene Rolle hatte. Wenige bestimmten über viele, so wie es schon immer geschah und sinnvoll war. Derart war Frankreich seit Jahrhunderten organisiert, doch dann kam die Revolution über das Land und das alte System wurde gewaltsam umgeworfen, gestürzt und niedergeschlagen. Es sollte fortan nicht mehr der König herrschen, sondern das Volk, es sollten viele über viele bestimmen. Die Chouans wollten davon jedoch nichts wissen und erhoben sich gegen den neuen Staat. Im Nordwesten Frankreichs fochten sie gegen die neue Republik mit den Taktiken einer Guerillaarmee. Ein aussichtsloser Kampf, wie die Geschichte lehrt, das letzte Aufbäumen einer vergehenden Welt.

Ein Reisender muss die Heide von Lessay durchqueren. Am letzten Rasthof, dem „Roten Ochsen“, macht er kurz Halt, um sich nach dem Weg zu erkundigen, und findet glücklicherweise einen Begleiter, der ihm auf dem langen und nächtlichen Weg Gesellschaft leisten will. Allein wäre er nicht gern den Weg geritten, es werden sich allerhand Geschichten über die Heide erzählt, die Angst machen und die Fantasie antreiben. Überfälle sollen regelmäßig geschehen und nicht selten mit dem Tod enden. Es sind die Überbleibsel der Chouans-Kriege. Aber es gibt auch andere Geschichten, die unheimlich sind und gegen die keine Pistolen helfen. Es ist ein sagenumwobener Landstrich. Bei einsetzender Nacht machen sich die beiden Männer mit ihren Pferden auf den Weg. Der Begleiter stellt sich sogleich als besonders gesprächiger Zeitgenosse heraus und so kommt es, dass er dem Reisenden im Verlaufe der langen Stunden die Geschichte vom Abbé von Croix-Jugan erzählt.

Von seiner Familie wurde der junge Joël dazu bestimmt, sein Leben im Dienst der katholischen Kirche zu verbringen. Doch sein Blut ist heiß, unter dem stillen Antlitz verbirgt sich ein wildes Herz, das nach Taten und nicht nach Worten verlangt. So überrascht es nicht, dass der junge Priester Joël beim Ausbrechen der Aufstände sich sogleich aus den Kreisen der Kirche entfernt, mit den Regeln eines Priesters bricht und sich den Chouans anschließt, die für die einzig gerechte Sache kämpfen. Sein Gemüt entspricht eher dem militärischen Dasein als dem kirchlichen Alltag. Er wird zu einem wichtigen und gefürchteten Anführer der Aufständler, kämpft furchtlos gegen die Blauen. Doch es hilft nichts, am Ende ist er besiegt, so wie es die Chouans sind. Dem Tod entgeht er nur, da sich ein paar feindliche Soldaten damit begnügen, ihm das hübsche Gesicht zu verunstalten, anstatt ihn hinzurichten. Fortan wird er sich verhüllen müssen, nicht aus Scham, denn dergleichen kennt er nicht, sondern um seine Mitmenschen nicht zu verschrecken. Nach den Kriegen begibt er sich nämlich wieder in den Schoß der Kirche, nimmt an Messen teil, auch wenn er nicht seines Amtes walten darf, da die Kirchenväter ihn für seine militärischen Aktivitäten mit einer Strafe belegten. Sein Aufsehen erregt großes Interesse unter den Kirchgängern, die vom Wesen und Auftreten des neuen Priesters in ihrer Gemeinde beeindruckt aber auch beängstigt sind. Joël wirkt nicht wie ein Priester, er bewegt sich mit militärischem Stolz, seine Schritte sind fest und mächtig.

Obwohl das Gesicht des Abbé von Croix-Jugan – so wird der nicht mehr so junge Joël fortan genannt – grauenhaft verunstaltet ist, verliebt sich Jeanne in ihn. Sie ist wie verzaubert, kann dem mysteriösen Priester nicht widerstehen und vernachlässigt bald ihre alltäglichen Aufgaben, die ihrer Rolle auf dem Hof ihres Mannes entsprechen. Gedankenverloren und verwirrt wirkt sie mitunter und sorgt bald für viel Klatsch in der Gemeinde, denn ihre Verbindung zum Abbé von Croix-Jugan bleibt nicht unbemerkt. Doch was hat der ehemalige Chouans-Anführer vor? Bereitet er einen neuen Aufstand vor? Oder erfreut er sich nur der Liebe einer hingebungsvollen Frau, die bereit ist, für ihn alles zu tun, was er verlangt?

Jules Barbey d´Aurevilly erzählt eine ungemein spannende und fantasievolle Geschichte aus den Zeiten der Chouans-Kriege. Er verbindet provinzielle Mystik, politische Blutfehden und eine unglückliche Liebesgeschichte auf höchst kunstvolle Art miteinander, so dass der Leser mehrfach gespannt und gebannt das Buch in den Händen hält, die klassisch verquere und umständliche Sprache wie den Wechsel von Tag und Nacht akzeptiert, und keinen Moment verpassen möchte, da Jeanne über ihre Liebe klagt oder des Nachts die Hufe des Pferdes zu hören sind, wenn der Abbé von Croix-Jugan wieder einmal aufbricht, die Heide zu durchqueren. Man kann den fernen Glockenschlag hören, den feuchten Nebel von Lessay auf der Haut spüren, wenn man sich auf Jules Barbey d´Aurevilly und seine Gebannte einlässt.

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