Die sieben guten Jahre

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2016
  • 1
  • New York: Riverhead, 2015, Titel: 'The Seven Good Years', Originalsprache
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2016, Seiten: 224, Übersetzt: Daniel Kehlmann
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2017, Seiten: 224, Übersetzt: Daniel Kehlmann
Die sieben guten Jahre
Die sieben guten Jahre
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Sebastian Riemann
901001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2017

Auf den Punkt gebracht und mit Schleife versehen

Etgar Keret ist ein Erzählakrobat mit ungewöhnlichen Fähigkeiten. Auf kleinstem Raum bringt er Geschichten, Anekdoten und Überlegungen unter, für die manch anderer große Bücher benötigt. So biegsam und wendig ist er, dass ihm meist eine Handvoll Seiten ausreicht, um einen Schwank aus seinem Leben zu erzählen und mehr zu sagen, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Dabei kommt er schnell zum Kern einer Erzählung, zu seinem zentralen Anliegen und hat doch noch Zeit dem Ganzen einen schwerelosen Schwung zu verpassen. Manchmal bringt er sogar kleine zusätzliche Kunststücke unter, die eigentlich einem so kurzen Text - so möchte man meinen - nicht gut stehen können, da sie doch das Existenzielle in Zweifel ziehen und der Kürze den Geist rauben können. Doch Etgar Keret vollbringt Großes in kleinem Format und beweist sich als ungemein moderner Erzähler. Einfach und natürlich wirken seine Texte, aus dem Leben selbst scheinen sie herauszufallen.

Der vorliegende Band ist in sieben Abschnitte unterteilt. Es sind die sieben guten Jahre des Autors, sie erzählen von Kindern und Eltern, aber auch viel vom Alltag eines Schriftstellers in Israel und in der Welt. Familie, Literaturveranstaltungen, Krieg und Antisemitismus wechseln sich ab, vermischen sich zu einem scheinbar gewöhnlichen Leben. Die Ereignisse und Gedanken in den Kurzgeschichten sind unprätentiös, sie haben die einfachsten Anfänge und verlaufen oft wenig überraschend. Trotzdem hinterlassen sie im Leser etwas, das ihn bewegt und nicht sogleich in Ruhe lässt.

Nachdem ein guter Freund dem Autor erzählt, wie es um die geistige Zurechnungsfähigkeit des iranischen Präsidenten bestellt ist und welche Folgen dieser Zustand für das Land Israel hat, ändern sich in kürzester Zeit die Grundlagen für das alltägliche Leben. Der Autor und seine Frau beschließen, ihre Zeit nicht mehr mit Unwichitgkeiten zu verschwenden. Wenn Israel durch einen Nuklearangriff des Irans vernichtet wird, wollen sie dabei nicht wie Idioten aussehen und das Geschirr spülen oder die Fenster putzen. Kurzum lassen sie einfach ab von vielen alltäglichen Aufgaben, die unangenehm und nicht essentiell für das Dasein sind. Es droht schließlich das baldige Ende ihrer Existenz. Es wird unordentlich und dreckig im Haushalt, die Stimmung ist apokalyptisch. Nur die wichtigsten Regeln des Zusammenlebens werden aufrecht erhalten und die Jagd auf Küchenschaben, da diese nicht anfällig für radioaktive Strahlung sind und den iranischen Angriff also besser überstehen würden als der Autor und seine Frau. Einen Kredit bei der Bank nehmen sie auch auf, schließlich können die Toten keine Raten zahlen und die Bank wird letztendlich ihr Geld verlieren. Doch dann kommt alles anders als gedacht, es kommt nicht der Untergang, der iranische Präsident ist vielleicht nicht so verrückt, wie sie annahmen, und plötzlich sieht sich das Paar einem Haufen alltäglicher Probleme gegenüber, von denen sie dachten, dass sie hinter ihnen liegen und sie nicht mehr beschäftigen würden. Ein dramatischer Moment der Einsicht, eine kleine Katastrophe für die beiden.

Der Leser muss lachen, da den Eheleuten im Angesicht der andauernden Existenz nur Trauer bleibt, als wäre die Vernichtung weniger schlimm als das Aufräumen und Saubermachen, das Erledigen der ausstehenden Arbeiten und der anstehende Besuch bei den Verwandten. Erst nach dem Lesen wird klar, wie skurril das Nebeneinander von Alltagssorgen und Existenzängsten ist, das in einem Land wie Israel zur Normalität gehört. Die kurze, humorvolle Anekdote Kerets bringt dem Leser dieses widersprüchliche Gefühl nahe ohne sich dabei der Schwere des Themas zu beugen, vielmehr verpackt sie die großen Begriffe in anschauliche Kleinigkeiten, die sich dem Leser unauffällig und humoresk unterschieben.

Derart geht der Autor häufig in seinen Kurzgeschichten vor. An anderer Stelle berichtet er vom Verlust seiner Schwester, die sich ernsthaft und unwiderruflich der orthodoxen Religionsausübung gewidmet hat. Sie verändert sich über die Jahre und wird immer strikter in der Befolgung religiöser Regeln, verbietet sich immer mehr und schränkt sich ein, so dass die Besuche des Autors zunehmend komplizierter werden. Es wird das alltägliche Zusammensein in Frage gestellt und erschwert, es ist, so sagt es der Autor mehrmals, der Tod seiner Schwester, die an die Religion verloren geht und sich dem Geflecht der Familie entzieht. Ein symptomatischer Tod in einer Gesellschaft mit starker religiöser Identität. Ein schweres Thema. Doch mittels seiner Fähigkeit, die Dinge leicht und nah zu schildern, gelingt es Keret die Belange der Familie und die Situation des Landes in Verbindung mit Pop-Musik zu bringen, um dem Leser ein Verstädnis für die Vorgänge zu vermitteln.

Die vorliegenden Erzählungen vollbringen etwas erstaunliches. Sie bewegen den Leser und lassen ihn dabei in dem Glauben, nichts außergewöhnliches sei geschehen, alles gehe seinen Gang und die skurrilen Aspekte des Daseins sind kaum eine gehobene Augenbraue wert, wohl aber ein Schmunzeln und ein Lachen. Keret gewinnt jeden Leser durch seine geschmeidige Erzählkunst und zeigt ihm etwas mehr von der Welt.

Die sieben guten Jahre

Etgar Keret, Fischer

Die sieben guten Jahre

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