Gott ist nicht schüchtern

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Sebastian Riemann
701001

Belletristik-Couch Rezension vonJan 2017

Syrien: Unterdrückung, Krieg und Flucht

Der Krieg in Syrien ist das Grauen unserer Zeit. In den letzten Jahrzehnten gab es keine kriegerische Auseinandersetzung, die derart brutal war und so sehr im Fokus der Medien stand. Nachrichten über Tote, Verletzte, Siege, Niederlagen, versehentlich falsch abgeworfene Bomben und in heillosem Chaos flüchtende Menschen, die nur noch ihr Leben retten wollen, erreichen uns regelmäßig. Syrien ist Krieg, Regierung gegen Rebellen, Diktator gegen Freiheitskämpfer, Soldaten gegen Bürger, Islamisten gegen Gemäßigte, Söldner gegen Familienväter etc. Die syrische Gesellschaft ist zerfallen in Kriegsparteien, hinzukommen die externen Gruppierungen und andere Staaten, die mit Geld und Waffen ihre eigenen Interessen wahren wollen. Syrien ist apokalyptisches Chaos für den westlichen Betrachter.

Olga Grjasnowa hat sich dieser Situation angenommen und versucht der syrischen Realität Tiefe und Verständnis abzuringen. In einer zweisträngigen Geschichte berichtet sie exemplarisch über zerstörte, vom Weg abgebrachte Leben. Dem Leser wird dabei ein Alltag gezeigt, der sich innerhalb kurzer Zeit tiefgreifend verändert und sich dann hauptsächlich durch Entbehrungen und Leiden auszeichnet.

Amal ist Schauspielerin in Damaskus. Sie ist kein Superstar, aber auch keine Anfängerin. Sie versteht ihr Handwerk, übt es gerne aus und kann von dem resultierenden Einkommen gut leben. Außerdem hat sie das Glück Tochter eines reichen Unternehmers zu sein. Ihr Leben ist gut und nicht allzu kompliziert. Dann beginnen die Proteste in Damaskus. Das Volk erhebt seine Stimme gegen die Willkürherrschaft Assads und seiner Geheimdienste. Der sogenannte arabische Frühling erreicht Syrien, den Hoffnungen und Ambitionen der Menschen wachsen Flügel, so wie in Tunesien und Ägypten. Auch Amal beteiligt sich an den Demonstrationen, auch sie will ein anderes Land, einen anderen Staat. Bisher hat sie nicht unter dem Regime gelitten, aber trotzdem empfindet sie Abneigung und geht auf die Straße. Die Antwort der Machthaber wird immer energischer, die Auseinandersetzungen werden gewalttätig, auch wenn es noch nicht zum offenen Kampf kommt. Amal wird mit den Praktiken der Geheimdienste konfrontiert. Einschüchterung, Unterdrückung, Missbrauch, sie erfährt am eigenen Leib, was es bedeutet, sich gegen die Regierung zu stellen und Veränderungen zu verlangen. Auch Freunde von ihr verschwinden für mehrere Tage und Wochen. Wenn sie zurückkommen, sind sie nicht mehr dieselben. Der Widerstand und die Widerständler sollen gebrochen werden wie ein paar Zweige. Lange Zeit wird Amal durch das Geld ihres Vaters beschützt, aber bald gibt es für sie keine andere Wahl, sie muss aus ihrem Heimatland fliehen, zuerst in den Libanon, dann in die Türkei, am Ende gelangt sie nach Deutschland.

Hammoudi ist ein angehender Arzt, hat seine Prüfung in Paris mit Bestnote bestanden und schon den Vertrag für seine erste Anstellung unterschrieben. Er wird gutes Geld verdienen und sich einen Namen machen können. Vorher muss er jedoch zurück in die Heimat nach Syrien, um seinen Pass zu verlängern, das verlangt nicht nur der syrische Staat von ihm sondern auch Frankreich, in dem er als Einwanderer lebt. Also reist er nach vielen Jahren zurück zu seiner Familie, stattet ein paar Besuche ab und begibt sich zum Amt, wo ihm ein neuer Pass ausgestellt werden soll. Doch zu seiner Überraschung wird ihm sein Anliegen verweigert. Es gibt keinen neuen Pass für ihn. Er darf nicht ausreisen, darf nicht zurück nach Frankreich, wo nicht nur ein gut bezahlter Job auf ihn wartet, sondern auch seine Verlobte Claire. Begründet wird die Ablehnung nicht. Hammoudi ist deprimiert, will und kann sich nicht in seinem alten, neuen Leben in Syrien zurechtfinden. Er will wieder zurück, raus aus der Heimat. Dann beginnt der Krieg, Menschen sterben und werden verletzt. Auf Seiten der Aufständischen fehlt es an Ärzten, sie verfügen nicht über die Infrastruktur, auf die der syrische Staat zurückgreifen kann. Hammoudi richtet eine provisorische Notaufnahmestelle ein, operiert ohne Unterbrechung und oft ohne die nötigen Mittel. Es fehlt an allen Enden, aber Hammoudi macht weiter, rettet so vielen Menschen wie möglich das Leben. Doch dann muss auch er fliehen. Am Ende landet er ebenfalls in Deutschland, wo er kurz Amal trifft.

Die Geschichte zweier Syrier, die aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen leiden und dann fliehen müssen, um ihr Leben zu retten, ist von Olga Grjasnowa beispielhaft erzählt. Amal und Hammoudi sind Vertreter einer neuen Gruppe Menschen, jener Refugees, die in Europa willkommen oder nicht willkommen sind. Als Personen werden sie im Roman nicht tiefgründig beleuchtet, es geht um ihre Situation, die sie mit vielen Syrern (und Irakern, Afghanen, Pakistanern, Nordafrikanern etc.) teilen. Der Ton ist dabei an eine Reportage angelehnt und entspricht unseren Kenntnissen der syrischen Verhältnisse, schließlich kennen wir den grausamen Alltag aus Syrien aus dem Fernsehen, den Radio und Internet. In diese Reihe gesellt sich der neue Roman von Olga Grjasnowa, er berichtet uns von den Ungeheuerlichkeiten mit einer distanzierten Stimme.

Gott ist nicht schüchtern

Olga Grjasnowa, Aufbau

Gott ist nicht schüchtern

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