Der Totschläger

  • -: -, 1877, Titel: 'L´Assommoir', Originalsprache
  • Bremen: Europäischer Literaturverlag, 2014, Seiten: 388, Übersetzt: Franz Blei
Der Totschläger
Der Totschläger
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Sebastian Riemann
861001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2016

Einer geht noch

Gervaise entflieht der französischen Provinz und sucht im großen Paris ein besseres Leben. Lantier nimmt sie mit in die Hauptstadt, gemeinsam wollen sie versuchen, sich durchzuschlagen und ein Auskommen zu finden. Als Starthilfe dient ihnen Geld, welches Lantier zufiel ohne dafür zu arbeiten. Von dem Geld leisten sie sich ein gutes Leben in den ersten Wochen, kaufen sich Kleidung, Möbel, gutes Essen und gönnen sich Getränke, die der Erfrischung der Kehle dienen und die Sorgen um die Zukunft vergessen machen. Recht gut lebt es sich auf diese Art, ganz so wie es den Vorstellungen vom guten Leben in Paris entspricht. Doch dann ist das ganze Geld durchgebracht, Lantier kann nichts mehr bezahlen, muss Gervaise um Geld bitten und es kommt zum Streit. Sie müssen die schönen Kleider versetzen, die sie wenige Wochen zuvor erst gekauft hatten. Die Armut bricht plötzlich und gewaltig in ihr Leben. Gervaise versucht, über die Runden zu kommen, nicht nur zum eigenen Wohl, sondern vor allem zum Wohl ihrer beiden Kinder, die sie mit nach Paris brachte. Ihnen gilt ihre größte Sorge. Lantier aber teilt ihre Sorgen nicht, ihm sind die Kinder egal und auch die nahe Zukunft. Ihn interessiert nur der Moment, der durch Lust und Wein bestimmt wird. Trinken will er und sich vergnügen, dafür gibt er den letzten Taler aus, ohne an den kommenden Morgen zu denken. Das ewige Gejammer Gervaises stört ihn, er will es nicht mehr hören und so verlässt er sie kurzerhand, während sie im Waschhaus schrubbt. Zu einer leichten Dame flieht er, da sie seine Bedürfnisse versteht und sich nicht über seinen Charakter beschwert. Gervaise bleibt zurück, besitzt so gut wie nichts und sieht einer düsteren Zukunft entgegen.

Vom schlechten Start in der großen Stadt gezeichnet, will die junge Gervaise fortan nichts mehr von den Männern wissen. Sie taugen zu nichts und machen nur Probleme. Auf sie ist kein Verlass. Allein schlägt sie sich durch, arbeitet hart und viel, auch wenn die Arbeit nicht schön ist. Langsam und stetig verbessert sie ihre Verhältnisse, verdient sich mit ihrem Schweiß ein besseres Leben und sorgt für ihre Kinder. Dann lernt sie Coupeau kennen, einen anständigen Mann, der nicht trinkt und sie aufrichtig liebt. Er will sie heiraten und lange sträubt sie sich, aufgrund der schlechten Erfahrung, die sie mit Lantier machte. Am Ende aber gibt sie nach und willigt ein. Die Hochzeit wird einfach und nicht besonders erfreulich, da es an jenem Tag stark regnet und Coupeau nicht genügend Geld hat, um das Ganze zu bezahlen. Witze muss sich das Hochzeitspaar gefallen lassen und böse Bemerkungen der Schwester Coupeaus, die für Gervaise nur Spott übrig hat.

Émile Zola schuf mit dem Totschläger einen Klassiker der Literatur, in dem die unteren Schichten der Gesellschaft in scheinbar aussichtslosem Elend dargestellt werden. So sehr sich Gervaise auch bemüht, letztendlich muss sie scheitern am eigenen Habitus und noch viel mehr am Habitus der Männer, die in diesem Roman wirklich zu nichts Gutem taugen, sondern nur Unheil, eine Alkoholfahne und Schläge mit nach Hause bringen. Suff und Prügel gewinnen immer, will Zola mit diesem Roman sagen. Das Tier im Menschen kann nicht besiegt werden. Zumindest nicht, wenn es im Elend und in Armut lebt.

Der Totschläger ist Teil eines großen, eines gigantischen Romanzyklus. Les Rougon-Macquart wird dieser Zyklus aus zwanzig Bänden genannt und befasst sich mit der natürlichen und sozialen Geschichte einer Familie während des zweiten Kaiserreichs, wie der Untertitel dem Leser mitteilt. Darin werden die Schicksale verschiedener Mitglieder der Familie Rougon-Macquart dargestellt, zu der auch Gervaise und ihre Kinder gehören.

Totschläger ist der Name einer Kneipe, in der sich die Männer des Viertels und auch ein paar Frauen die Kehle befeuchten und die Zeit verlieren. Dort verschwinden Ambitionen und Pläne. Auf dem Weg zur Arbeit trifft man des Öfteren einen alten Freund, der einen sogleich auf eine Schnapspflaume im Totschläger einlädt und dann nicht müde wird Getränke und Gerichte zu bestellen, so dass man schon am Morgen unwiderruflich betrunken und vergnügt ist, den Beutel mit den Arbeitsutensilien unter den Tisch legt und die Absicht, heute endlich zu arbeiten und Geld zu verdienen, auf den nächsten Tag verschiebt. Für Gervaises´ Männer und für Gervaise selbst ist der Ruf des Totschlägers letztlich unwiderstehlich, es ist ein Lockruf, dem sie nichts entgegenzusetzen haben. Alle Bemühungen, mögen sie für eine Zeit erfolgreich und vielversprechend gewesen sein, finden ihr jähes Ende im Keller der Kneipe. Ihre natürliche und soziale Geschichte zwingt sie auf den Boden.

Der Totschläger

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