Der heilige Trinker

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1989
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  • Berlin: Ullstein, 1989, Originalsprache
  • Berlin: Berenberg, 2012, Seiten: 138, Originalsprache
Der heilige Trinker
Der heilige Trinker
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Sebastian Riemann
731001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2016

Auf den Spuren eines Freundes und großen Erzählers

Joseph Roth war nicht nur ein beeindruckender Schriftsteller, sondern auch eine schwer zu greifende, geradezu sagenumwobene Persönlichkeit. Er selbst trug zu Verwirrungen bei und das vorliegende Buch, verfasst von einem seiner Freunde, greift diese Eigenschaft für den Leser auf, präsentiert in vielen kleinen Anekdoten den großen, über die Maßen agilen und kreativen Autor. Dabei werden Umstände und Gesellschaft beleuchtet und immer wieder die fantastischen Eigenarten Roths, der auch für Personen, die ihm nahe waren, ein Rätsel blieb.

Roth verfasste eine Novelle mit dem Titel Die Legende vom heiligen Trinker und von Cziffra sah in der Novelle eine wichtige Eigenschaft Roths verdeutlicht, die ihn dazu veranlasste, den Anekdoten über den Freund einen ähnlichen Titel zu geben. Denn Roth war, darüber gab und gibt es wohl keine Zweifel, ein ausgiebiger Trinker und ein guter Mensch, immer bereit den Freunden zu helfen und sie zu einem Gläschen einzuladen, sofern er Geld in der Tasche hatte. Und so beginnt denn auch der vorliegende Band mit einem Ereignis, das bezeichnend für die Freundschaft zwischen Roth und von Cziffra war, beginnt mit der Bitte nach ein wenig Geld, das Roth nicht hat, aber braucht, und das ihm von Cziffra damals gab, ohne zu wissen, wem er dort, im allseits bekannten Romanischen Café, die Mark in die Hand drückte. Roth war mal wieder pleite. Aber das nahm ihm niemand übel, auch nicht das ständige Borgen, denn sobald der junge Journalist und Schriftsteller aus der ehemaligen Doppelmonarchie Österreich-Ungarns über Geld verfügte, gab er es mit beiden Händen aus, inmitten seiner Freunde und Kollegen. Ein großzügiger Trinker war er, großzügig im Trinken und in Geldangelegenheiten. Darüber hinaus ein hervorragender Erzähler, der in nahezu jeder Situation etwas zum Besten geben konnte. Und so beginnt der vorliegende Band eigentlich nicht mit der Anekdote im Romanischen Café, sondern mit Roths Fabelierlust in Bezug auf seine alte Heimat, die verlorene, untergegangene Donaumonarchie, und seiner Zeit in der Armee. Gerne erzählte er von der vergangenen Eleganz und machte sich dabei etwas größer und wichtiger als er wohl war, so zumindest sah es von Cziffra, der nicht nur den Ausführungen seines Freundes traute, sondern auch immer noch einen zweiten und dritten Freund oder Bekannten befragte, um sich ein besseres Bild von der Person Roths und dessen Leben machen zu können. Denn Roth, der begnadete Erzähler, neigt zu Übertreibungen oder gar zu Fantastereien, die wenig mit der sogenannten Wirklichkeit zu tun hatten. Schnell wurde von Cziffra misstrauisch, wollte nicht ganz glauben, was ihm bei einigen Gläschen Schnaps aufgetischt wurde und fragte immer wieder nach, auf der Suche nach der Wahrheit, auf der Suche nach dem wahren Roth.

Von Cziffra versteht es den alten Freund unterhaltsam darzustellen, weiß allerhand Geschichtchen zu erzählen, die in ihrer Menge ein gutes Bild von Roth abgeben, seine Eigenarten verdeutlichen, seine Freude und besonders sein Leid im Zuge der untergegangenen Monarchie und später mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland greifbar und verständlich zu machen. Leidlich ist nur die beständige Wahrheitssuche des Autoren, der, so scheint es, nicht so viel Freude an der Fantasie seines Freundes Roth hat wie manch ein Leser, sondern sich vielmehr als Detektiv versteht, dem die Aufgabe gegeben wurde, die Aussagen des begabten Schriftstellers und Erzählers auf deren Übereinstimmung mit der allgemeingültigen Realität zu überprüfen. Beständig erwähnt er die Zweifel und die Möglichkeit falscher Informationen.

 

"Ich berichte über alles so, wie Roth es mir erzählt hat. Hat er gelogen, lüge ich auch."

 

Das Buch versucht nicht, den Lebensweg Roths darzulegen, will keine Biografie sein, erhebt keinen hohen Anspruch auf Vollkommenheit und Richtigkeit, und doch fühlt sich der Autor stets genötigt, die Wahrheit hinter den schmuckvollen Ausführungen Roths zu finden. Ein Unternehmen, das der Kunst Roths entgegenläuft, dem Buch eine merkwürdige Note verleiht, da es sich nicht so recht zur Sache gesellt, die sie doch abbilden und ein wenig bewundern will. Darüber hinaus sind die Einblicke in Roths Leben und seine Umgebung sehr interessant und lebendig, helfen dem Leser sich die Persönlichkeit dieses außergewöhnlichen Menschens vorzustellen und ihn in seiner Zeit zu verstehen.

Der heilige Trinker

Geza von Cziffra, Ullstein

Der heilige Trinker

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