Was ich liebe - und was nicht

  • : Luchterhand, 2016, Titel: 'Was ich liebe - und was nicht', Seiten: 368, Originalsprache
Was ich liebe - und was nicht
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Sebastian Riemann
761001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2016

Ortheil über Ortheil

Gemäß der Idee Roland Barthes´ und verschiedener antiker Formate gibt Hanns Josef Ortheil ein Buch heraus, das sich mit seiner Person beschäftigt, indem es Freuden und Abneigungen ausbuchstabiert, sie dem Publikum in kleinen Häppchen serviert und somit langsam und gemächlich ein Bild des Autoren zeichnet, das nicht komplett und nicht stringent sein, sondern vielmehr einen genüsslichen Einblick in die Seele geben will. Was Ortheil mag und was er nicht mag, ist dabei Thema, genau so wie Rückgriffe auf die Kindheit, in der sich bestimmte Neigungen und Vorlieben herausbildeten, als auch literarische Fantasien, die sich aus dem Gefallen ergeben. Es ist eine Sammlung von Anekdoten und Gedichten, von Gefühlslagen und Ideen.

Unter großen Begriffen wie Reisen und Essen sind die Texte angeordnet, geben Kleines und Kleinigkeiten zum Besten. Erzählt wird alles in gemütlichem Plauderton, herzlich und echt, denn schließlich will man nicht über die Höhen und Tiefen im Leben diskutieren, sondern sich zu einem schmackhaften Mahl zusammensetzen, sich unterhalten oder die Gedanken schweifen lassen, dazu ein Glas Wein trinken oder auch zwei. Die Ambition der Texte ist genüsslich, sie laden ein zum Nachempfinden, zum Reflektieren, auch zum Vergessen der Sorgen. Bei der Lektüre mag man sich selbst erkennen oder auch nicht, man mag sich anregen lassen zum eigenen Sinnen über die persönlichen Freuden.

Wenn Ortheil zum Essen bei Freunden eingeladen wird, fühlt er sich von Beginn an unwohl. Die Gemütlichkeit, die häusliche Wärme und das aufwendige Arrangement sind ihm nicht eine willkommene Einladung zum Entspannen und gemeinschaftlichen Genießen, sondern eine Fremde und Enge, die er mit nichts anderem als einem Gefängnis vergleicht. Durch das Haus seiner Gastgeber bewegt er sich, muss sich dieses und jenes zeigen lassen, dazu seinen Kopf interessiert und freudig bewegen, als würde er wirklich mögen, was er sieht. Er muss die Gerüche aufsaugen, die aus der Küche in alle Räume ziehen und vom bevorstehenden Essen ankündigen. Am Tisch zu sitzen ist dann die Höhe der Gefängnishaftigkeit, man schaut ihm beim Essen auf den Mund, will wissen, was er denkt und wie es ihm schmeckt. Das Ganze ist streng organisiert, im Voraus geplant, dem armen Gast bleibt keine Freiheit, er kann weder essen noch trinken, was er möchte, sondern muss sich vielmehr diktieren lassen, muss sich dem Vorhaben der Gastgeber unterwerfen wie ein Häftling, dem vorgeschrieben wird, wann er was zu essen hat. Die Freude am Essen und Trinken wird dabei so arg in Mitleidenschaft gezogen, dass Ortheil am liebsten vom Tisch aufspringen und hinauslaufen würde, um sich andernorts in ein kleines, einfaches Lokal zu setzen, wo er sich mit ein paar Zeitungen und Büchern am Tisch die Zeit vertreiben könnte, sich gemütlich zurücklehnen, ein oder zwei einfache Gerichte bestellen und dazu ein Bier oder Wein trinken könnte.

Die Birne auf dem Umschlag des Buches ist gemäß dem Konzept nicht zufällig zur Gestaltung herangezogen worden, sondern nimmt auch einen Platz im Genussreich des Autoren ein. Sie ist die Königin der Obstkategorie, ist dem Apfel und den Himbeeren in vielerlei Hinsicht überlegen, ist eine geradezu perfekte Frucht für Ortheil, der bei derartigen Beschreibungen und Analysen nicht nur Aussehen und Geschmack gegeneinander abwägt, sondern auch das Geräusch, das sie machen, wenn in sie hineingebissen wird, und in welchen künstlerischen Kontexten die Früchte zu ihrer vollen Entfaltung kommen.

Auf die literarische Verarbeitung seiner Vorlieben und Abneigungen geht Ortheil manchmal indirekt, manchmal sehr direkt ein. Zum einen erklärt er sein Interesse an einer Sache und informiert den Leser sogleich, in welchem seiner zahlreichen Bücher er das Thema verarbeitet hat und was ihn daran besonders faszinierte. Für die Liebhaber seiner Bücher ist dies sehr interessant, erklären diese Passagen doch, welche Ideen und Antriebe hinter seinen Romanen und Berichten stehen. Man erfährt mehr über die Person und den Schriftsteller. An anderen Stellen verweist Ortheil nicht auf eine bereits geschriebene Geschichte, sondern schreibt einfach einen kurzen Entwurf zum Thema, das ihn interessiert. Die Idee zu einer Liebesgeschichte zum Beispiel.

All dies geschieht mit großer Leichtigkeit, so wie man es von Ortheil gewohnt ist und wie man es von ihm erwartet. Er bringt Literatur und seine Person zusammen, schreibt ehrlich und einfach. Im vorliegenden Band erhält die Person des Autors den Vorzug gegenüber der Erzählung, es ist ein Buch für die vielen, zahlreichen Anhänger Ortheils, für die Freunde seiner leichten, sympathischen Schreibweise, seiner Menschlichkeit.

Was ich liebe - und was nicht

Hanns-Josef Ortheil, Luchterhand

Was ich liebe - und was nicht

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