Shylock

  • München: Albrecht Knaus, 2016, Seiten: 288, Übersetzt: Werner Löcher-Lawrence
Shylock
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Almut Oetjen
881001

Belletristik-Couch Rezension vonJan 2016

Gelungenes Shakespeare-Upgrade zum 400. Todestag des Meisters

Der wohlhabende Kunsthändler Simon Strulovitch versucht seine Tochter Beatrice alleine zu erziehen, da seine Frau Kay nach einem Schlaganfall körperlich und geistig behindert ist. Simon besucht das Grab seiner Mutter auf dem Friedhof von Gatley im County Greater Manchester. Dort begegnet er dem von Geldsorgen geplagten Shylock, der seiner toten Frau Leah am Grab Philip Roths Roman Portnoys Beschwerden vorliest. Simon nimmt Shylock bei sich als Dauergast auf. Sie diskutieren über jüdische Kunst und Literatur, Geschichte, Unterdrückung und Rache. Wohl fühlt er sich nur mit Shylock, der ihm ähnelt - zwei zornige Juden.
Shylock hat Probleme mit seiner Tochter Jessica, und er füttert Simons Ängste. Beatrice will sehr zum Missfallen Simons einen Christen heiraten, den Fußballer Gratan Howsome, der öffentlich einen Nazigruß äußerte. Beatrice kümmern die Vorbehalte und Sorgen ihres Vaters nur wenig. Dass diese Beziehung absichtsvoll angebahnt wurde, weiß sie nicht.

Howard Shakespeare - Porsche statt Portia

In Anlehnung an Shakespeares Theaterstück Der Kaufmann von Venedig erzählt Howard Jacobson in Shylock zwei Unterhandlungen, die sich zur großen Romanhandlung fügen. Bei Shakespeare verpfändet der reiche Antonio, dessen Vermögen investiv gebunden ist, Shylock ein Pfund seines Körperfleisches für einen Kredit, mit dem er seinem durch Schulden belasteten Freund Bassanio die Werbung um Portia (Porzia) ermöglichen will. Der Jude, der als Pfand für einen Kredit Fleisch aus dem Körper des Schuldners akzeptiert, ist eins der beiden zentralen Motive des Stückes. Das zweite Motiv bilden drei Kästchen, zwischen denen die Freier um Portia wählen müssen. Dieses Motiv ist in der zweiten Unterhandlung verortet, in der die vielumworbene reiche Erbin den zum Ehemann erhalten soll, der das Kästchen mit ihrem Bild wählt. Dieses Kästchen ist bei Shakespeare das schlichteste.

Jacobson errichtet eine Bühne, auf der sechs zentrale Figuren agieren: der wohlhabende Kunstsammler Simon Strulovich und seine Tochter Beatrice, deren Freund Gratan Howsome und Simons Bekannter Shylock, die reiche Erbin Plurabelle sowie ihr Assistent und Berater D'Anton. Diese Figuren schickt Jacobson in die Sphäre der Instabilität und Unsicherheit, wo er einen abgezirkelten Komplex aus Problemen und Fragen behandelt.

Was bedeutet es, in einer sich als kulturell vielfältig verstehenden Gesellschaft jüdisch zu sein? Kann ein Jude in einer überwiegend nicht-jüdischen Gesellschaft ein Selbstverständnis als Jude haben, das nicht durch nicht-jüdische (im Raum Manchester: christliche) Vorstellungen, Vorurteile und Erwartungen mitbestimmt ist? Können Mädchen in Vertiefung und Selbstvergessenheit spielen, Jungen jedoch nicht? Kann ein Mann eine Frau, die er attraktiv findet, auf jede erdenkliche Weise auch sehen, immer aber und vor allem sexuell? Kann ein Hitlergruß etwas anderes (oder anders gemeint) sein, so ein nicht-faschistisches politisches Statement?

Shylock und Jessica tragen bei Jacobson als einzige Figuren die Namen aus Shakespeares Vorlage. Die Sphäre Simons ist durch Melancholie, Trauer, Scherze und die Möglichkeit des Vermögensverlustes bestimmt, die Sphäre Plurabelles durch ein unwirklich anmutendes Fantasialand überbordenden Reichtums.

Plurabelles Vater hat vor seinem selbst-verursachten Ableben verfügt, wie seine Tochter einen Mann finden soll. Sie verwirft diesen Ansatz und entwickelt einen eigenen, der jedoch kein akzeptables Ergebnis liefert: Plurabelle wirft auf einer Party die Schlüssel ihrer drei Wagen, BMW, Porsche und VW Käfer in einen Behälter und wartet im Käfer. Es kommt zu einer Schlägerei um die beiden Schlüssel für die teuren Wagen, während sich niemand für den Käfer interessiert, die Entsprechung des schlichtesten der drei Kästchen.

Wichtigster Handlungsraum neben Manchester ist das Goldene Dreieck in Cheshire, ein realer Ort des Überflusses, ausgestattet mit hervorragender und teurer Infrastruktur, bewohnt von sehr Reichen aus Kunst, Wirtschaft und Sport. Das Dreieck ist der (ehemalige) Wohnort vieler im Fußball Tätiger, darunter Louis van Gaal, Alex Ferguson, Wayne Rooney, David Silva, Joe Hart, David Beckham, Eric Cantona und Cristiano Ronaldo - warum also nicht einen Fußballer mit Namen Gratan Howsome in den Roman aufnehmen, der den Platz von Shakespeares Gratiano einnimmt?

Der Kaufmann von Venedig ist ein kontrovers rezipierter Text, der vielfach bewertet wird als ein unangenehmes Stück, das nicht nur Antisemistismus thematisiert, sondern zugleich Reflex des kulturell verankerten Antisemitismus' seiner Zeit ist. Zum 400. Geburtstag von William Shakespeare überträgt Howard Jacobson das Drama in das 21. Jahrhundert. Die Handlung ist eine andere, aber die Hauptfigur und die Themen des Stückes werden in diese neue Umgebung übernommen. Die Frage: "Was bedeutet es, ein Jude zu sein", die schon in Jacobsons mit dem Booker Prize bedachten Die Finkler-Frage ausgelotet wurde, behandelt der Autor in einem Dreieck, das bestimmt ist durch die Seiten: der assimilierte Jude, der nicht-assimilierte Jude, Ressentiments und Gewalt gegen Juden.

Es ist hilfreich, die Vorlage Shakespeares zu kennen, wenn man Jacobsons Roman als Beitrag zum Shakespeare-Diskurs lesen will. Einfach nur Parallelen ziehen zwischen beiden Büchern kann man allein deshalb, weil nahe liegend. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Jacobson Charaktere und diesen zugewiesene Eigenschaften und Handlungen nicht deckungsgleich nachgebildet hat.

Eine Lektüre unabhängig von dieser Vorlage ist natürlich möglich, zudem unterhaltsam und ertragreich, vor allem jedoch als Anregung zum Denken bestens geeignet, ob zum Vor-, Neben- oder Nachdenken sei den Lesern überlassen. Die Motive der Kontrolle, besonders der Tochter durch den Vater, sowie der Sexualität, besonders des beschnittenen Penis und der Penetration, mögen manche Leser und Leserinnen als penetrant empfinden, vielleicht als obsessiv. Jacobson arbeitet mit ihnen auf komische, absurde und intelligente Weise. Religiöse Fanatiker sind hier noch das Offensichtlichste, worauf man in diesem Zusammenhang kommen kann.

Shylock ist auch eine Geschichte über die Familie. Shylock liebt und bewundert seine verstorbene Frau und besucht sie häufig, nicht gebunden an ihre Grabstelle. Er vermisst nicht nur sie, sondern auch ihre Klugheit, die er andernorts nicht findet. Simon sieht seine erste Ehe, mehr noch seine erste Frau, negativ. Seine zweite Frau war ihm hilfreich, bis sie einen Schlaganfall erlitt. Beide Männer lieben ihre Töchter als Schätze, auf eindeutige Weise, bis diese ein gewisses Alter erreicht haben und in tyischer Manier zur Belastung werden, wodurch die Beziehungen zwiespältig und durch Machtkämpfe bestimmt werden. Der Schluss des Romans wirkt hier in verstärkender Weise, obgleich die Ereignisse Simon Recht geben, Beatrice nur ein Spielzeug war und sich von ihrem dumpfen Verlobten enttäuscht trennt.

Howard Jacobsons Roman Shylock ist ein unterhaltsames, provokatives und zum Denken anregendes Upgrade des Shakespeareschen Theaterstücks Der Kaufmann von Venedig, welches die Figur des Shylock ins Zentrum der Erzählung setzt.

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