89/90

  • Berlin: audio media, 2015, Seiten: 6, Übersetzt: Peter Richter, Bemerkung: gekürzte Ausgabe
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Rita Dell'Agnese
751001

Belletristik-Couch Rezension vonNov 2015

Koketterie mit Fußnoten und Buchstaben

Nicht viele Romane vermögen es, so zwiespältige Gefühle zu wecken, wie 89/90 von Peter Richter. Der Autor vereint verschiedene Elemente und präsentiert dadurch ein Werk, das sich nicht eindeutig zuordnen lässt. Am eindeutigsten zu Tage tritt der biographische Aspekt. Der Autor versetzt sich zurück in seine Jugendzeit, in die Phase unmittelbar vor dem Mauerfall. Als Ich-Erzähler reiht er seine Erinnerungen an den rotzig frechen Teenager aneinander und erzählt von einem Alltag, in dem die Sorgen noch klein waren und Zukunftsängste keine Rolle spielten. Dass er sich dabei als jugendlichen Helden sieht, mag man mit einem Lächeln quittieren und es als das werten, als was es wohl gedacht war: Der Wunsch, den damaligen Jugendlichen in seiner durchaus altersgerechten Ich-Bezogenheit und Überheblichkeit darzustellen. Die Anlehnung an die Jugendsprache von damals verstärkt dieses Bild, mag als Stilmittel durchgehen und lässt den Anspruch an eine gereifte Sprache etwas vergessen.

Um diese entscheidenden Jahre der Wende mit dem Jugendlichen wirklich genussvoll mitzuerleben, muss man allerdings einiges mitbringen. Vor allem die Bereitschaft, sich mit Einzel-Buchstaben zu begnügen und sich keine weiteren Gedanken über deren Bedeutung zu machen. Denn sonst könnte die Idee des Autors, sämtliche Protagonisten ausschließlich mit einem Großbuchstaben zu benennen leicht zur Nerv tötenden Sache werden. Dem Wunsch, sich in die Geschichte fallen zu lassen, ist es nicht dienlich – die Buchstaben lassen keine Nähe zu den Figuren aufkommen und manchmal will sich gar das dumpfe Gefühl breit machen, dass die Menschen um ihn herum für den Protagonisten einzig Nummern – oder hier halt Großbuchstaben – sind, nicht aber Persönlichkeiten. Das wirft ein etwas schiefes Licht auf den im Mittelpunkt strahlenden Helden.

Noch empfindlicher gestört wird der Lesefluss allerdings durch die Fußnoten, die sich als erklärende Elemente durch den ganzen Roman ziehen. Die Informationen, die der Autor hier beisteuert sind durchaus wertvoll und faszinierend. Doch stellen sie einen Bruch dar, der den Verlauf der Geschichte immer wieder abstoppt und dadurch keine richtige Stimmung aufkommen lassen. Es stellt sich die Frage, wie Peter Richter die Informationen hätte platzieren können, ohne mit den Fußnoten zu arbeiten. Die Koketterie mit den verschiedenen Stilelementen führt nicht dazu bei, dem Roman Boden zu geben. Sie mag ein Ausdrucksmittel Richters sein, der sich mit seinem Roman von der breiten Masse der Wende-Romane abheben will und kann. Sie ist jedoch nicht dazu angetan, sich ernsthafter mit dem Werk auseinander zu setzen. Wer also den Jugendlichen wirklich durch die entscheidenden Jahre begleiten will, wird die Fußnoten zunächst übersehen und sie sich später quasi als Nachwort zu Gemüte führen. Weniger einfach lässt sich die Klippe mit den fehlenden Namen umschiffen. Hier braucht es viel Aufmerksamkeit, um die Figuren und die Bezeichnung richtig einzuordnen.

Es ist schade, dass Peter Richter in seinen Roman, der so viele pointierte und amüsante wie auch nachdenklich stimmende Sequenzen beinhaltet, diese Hürden eingebaut hat. Dem Jugendlichen über die Schulter zu sehen und die Wende aus seiner Sicht mitzuerleben, ist an sich eine optimale Gelegenheit, sich mit der Thematik auf eine andere Art auseinander zu setzen. Die präzisen Beobachtungen und die sich über eine Phase von mehreren Monaten erstreckende Entwicklung der jungen Menschen haben unglaublich viel Potenzial, das Peter Richter zu einem nicht unerheblichen Teil zu nutzen weiß.

89/90

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