Wenn der Wind singt & Pinball 1973

  • DuMont
  • Erschienen: Januar 2015
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  • Tokio: -, 1979, Titel: 'Kaze no uta o kike, 1973-nen o pinboru', Originalsprache
  • Köln: DuMont, 2015, Seiten: 350, Übersetzt: Ursula Gräfe
Wenn der Wind singt & Pinball 1973
Wenn der Wind singt & Pinball 1973
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Rita Dell'Agnese
601001

Belletristik-Couch Rezension vonNov 2015

Ein ungeschliffener Stein

Haruki Murakami kann fesseln. Das hat er mit zahlreichen Werken und einer treuen Fangemeinde bewiesen. Nun hat er einen gewagten Schritt unternommen: Er veröffentlicht zwei Frühwerke in einem Band. Gewagt deshalb, weil es zwar Murakamis sind, den beiden Werken jedoch eindeutig die Reife der späteren Romane des japanischen Schriftstellers fehlt. Doch Haruki Murakami kann mit diesen beiden Frühwerken dennoch punkten. Im Zentrum steht ein junger Mann, Ich-Erzähler und Student. In den Semesterferien stößt der Erzähler auf Ratte, verbringt Zeit mit ihm und lässt zu, dass sich eine Freundschaft entwickelt. Ratte, zunächst Nebenfigur, etabliert sich immer mehr im Rampenlicht und zeigt bereits in diesem Frühwerk, das im Jahr 1970 angesiedelt ist, dass er sich zu einer Figur entwickeln wird, die auch in späteren Romanen von Murakami eine Rolle spielt. Bemerkenswert ist die Atmosphäre, in der sich diese Freundschaft entwickelt: In einer verrauchten Kneipe, irgendwo in einer kleinen Hafenstadt. Der Erzähler und sein neuer Freund wetteifern darin, über Schriftstellerei zu sinnen, Bier zu trinken und Betrachtungen über das Leben und seine Eigenarten anzustellen. Der Erzähler und sein Freund Ratte bleiben dabei nicht alleine. Ein Barkeeper und ein Mädchen, dem ein Finger fehlt, leisten ihnen Gesellschaft.

Viel passiert nicht in diesem ersten Werk Murakamis, das sich eher als Novelle denn als wirklicher Roman präsentiert. Der Autor scheint seinen Figuren noch nicht vollständig vertraut zu haben, lässt sie eckig und irgendwie unfertig erscheinen. Dieser Eindruck wird verstärkt durch den zweiten Teil des Buches, Pinball 1973. Murakami legt zwischen die beiden Handlungen eine Zeitspanne von drei Jahren. Der Ich-Erzähler und Ratte haben unterschiedliche Wege eingeschlagen. Währen der erste in Tokio Fuß fasst, bleibt Ratte in der Hafenkneipe hängen. Eine Handlung in diesem Pinball 1973 zu erkennen fällt allerdings eher schwer. Es sind eher lose Lebensentwürfe, einzelne Sequenzen, zu einem Ganzen gefügt, das doch nicht so richtig zusammengehören mag. So bleibt dieser zweite Teil des Buches ein harter Brocken, der vor allem – oder gar ausschließlich – die eingefleischten Murakami-Fans beeindrucken dürfte. Denn immer mal wieder erscheint die Geschichte wie eine Fallstudie, sozusagen ein Entwurf, aus dem später erst das fertige Werk entstehen wird. Auch die eingestreuten Flipper-Szenen, die dem zweiten Teil des Buches den Namen gegeben haben, mögen das nicht wettmachen. Was bleibt ist also diese greifbare Melancholie, die dem gesamten Werk auch einen eigenen Charakter verleiht, wenn nicht gar einen gewissen Charme.

Wäre nicht das Vorwort von Haruki Murakami – mit das Beste des Buches – so würde sich mancher Gedanken darüber machen, was der Autor seinem Publikum mit diesen beiden sehr reduzierten Werken sagen möchte. Doch so weiß der Leser bereits vor der ersten Zeile des eigentlichen Romans, wie es zu dieser Veröffentlichung gekommen ist. Es mag ihm helfen, mit dieser überraschenden, nicht aber in jeder Hinsicht überzeugenden Story zu Recht zu kommen. Wer bisher noch keine Begegnung mit dem japanischen Autor gemacht hat, dürfte sich schwer tun, nochmals zu einem Murakami-Werk zu greifen. So muss Wenn der Wind singt – Pinball 1973 als ein Geschenk des Autors an seine Fangemeinde gewertet werden. Als eine Vervollständigung des Werkes und eine – wenn auch sehr späte – Erklärung für die Freundschaft zwischen des Erzählers und Ratte, die in einem späteren Werk (Wilde Schafsjagd) ihren Abschluss erfährt.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Autor die ersten beiden Teile einer Trilogie wesentlich später präsentiert, als den abschließenden Teil. Es mag sein, dass Haruki Murakami diese sehr frühen Werke, die eher einem ungeschliffenen Stein als einem facettenreichen Diamanten gleichen, ursprünglich nicht mehr hervorholen wollte. Die Gemüter der Leserinnen und Leser werden sich darüber scheiden, ob der Entscheid, es doch noch zu tun, richtig war. Ein genaues Hinsehen lohnt sich allemal. Denn hier hält der Leser ein wunderbares Anschauungsstück in Händen, wie sich im Laufe der Zeit nicht nur die Figuren, sondern vor allem der Autor selber entwickelt und sich in einer viel späteren Phase selber finden wird.

Haruki Murakami-Fans werden ihre Sammlung um diesen Band auf jeden Fall erweitern und sich auch für dieses frühe Werk des Autors begeistern. Es zeigt in Ansätzen bereits die spätere Stärke des Japaners. Einsteiger tun jedoch gut daran, sich zuerst mit einem späteren Werk Murakamis auf den Autor einzustimmen und ihm erst später zu diesem Frühwerk zu folgen.

Wenn der Wind singt & Pinball 1973

Haruki Murakami, DuMont

Wenn der Wind singt & Pinball 1973

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