Kleines Format für das Absurde und Existenzielle
Der große Dostojewski ist bekannt für seine großen Romane, diese epochalen Wälzer voll Drama und Schwere. Dass der Autor aber auch anders kann, will ein nun vorliegender Band aus dem Manesse Verlag zeigen, der den bedeutungsschweren Schriftsteller von einer leichteren Seite zeigen will, als Satiriker und "Chaoskomiker", wie es heißt. Dazu werden fünf Erzählungen präsentiert, ganz unterschiedlicher Art, mit unterschiedlichem Humor. Ergänzende Fußnoten, Einleitungstexte und ein Nachwort runden das Buch ab und machen aus ihm mehr als nur eine kleine Sammlung von Erzählungen.
Die erste Erzählung, Roman in neun Briefen, ist ein Verwirrspiel zweier Männer, die sich zu Beginn noch als Freunde bezeichnen, mit der Zeit aber den Ton verschärfen, dem anderen vorwerfen, er treibe Spielchen, wolle sich lustig machen über einen, und der Schuld nicht nachkommen, das Geld zurückzahlen. Die beiden wollen miteinander sprechen, bevor einer von ihnen auf eine längere Reise geht, jedoch verfehlen sie sich und sind darauf angewiesen über Briefe miteinander zu kommunizieren; sie vereinbaren Treffen, können aber nicht erscheinen, weil es einen tragischen Zwischenfall in der Familie gab und so weiter. Bei der Geschichte wird er Leser an der Nase herumgeführt, er wird von beiden Seiten aufgebracht gegen den anderen zu wettern, bzw. ihn als Unglaubwürdigen anzusehen. Die wechselseitigen Beschuldigungen können vom Leser nicht überprüft und entwirrt werden, letztendlich ist man verunsichert, wahrscheinlich sind beide Briefeschreiber nicht ganz ehrlich und drehen und wenden die Tatsachen zu ihren Vorteilen. Ein sehr kurzer Text, absurd-komisch, als Verwirrspiel sehr unterhaltsam und ein ausdrucksvolles Beispiel der manchmal wirren Kunst des Autors. Und alles andere als ein Roman.
Das Krokodil. Iwan Matwejitsch hat das Ticket für seine Fahrt ins Ausland schon in der Tasche, als er dem Wunsch seiner Frau nachgibt und sie in ein Einkaufszentrum Petersburgs begleitet, um dort die neueste Sensation zu sehen: ein wahrhaftiges Krokodil. Schaurig anzuschauen ist dieses Ungetüm, welches von einem Deutschen eingeführt und zur Schau gestellt wird; groß und mächtig liegt es vor den Besuchern und will sich nicht regen. Iwan Matwejitsch erlaubt sich mit dem Krokodil ein wenig Spaß und will es provozieren, und dann passiert, was passieren muss, solch eine Provokation kann nicht unbeantwortet bleiben, schließlich handelt es sich um ein ausgewachsenes, wenig komisches Krokodil, das sich von einem Petersburger Beamten nicht auf der Nase herumtanzen lässt, ihn vielmehr mit seinem Riesenmaul verschluckt, so wie er kurz zuvor noch vor ihm stand. In einem Stück verschwindet Matwejitsch im Rachen des Ungeheuers und groß ist das Geschrei, da man ihn für tot hält. Doch in all der Eile hatte das Krokodil vergessen zu kauen und den Mann in einem Stück verschlungen, woraufhin jener unversehrt im Magen des Tieres landet und sich dort einrichtet. Überraschend geräumig ist das Innere des Krokodils, stellt Matwejitsch fest und beginnt sogleich, Pläne zu schmieden über die neuen Möglichkeiten, die sich ergeben, da er sich nun im Magen eines Krokodils befindet und von dort aus die Welt anders, man möchte sagen besser, betrachten kann. Großes stellt er sich vor, er sprüht vor Ideen, stellt sich eine grandiose Zukunft vor.
Mit Das Krokodil ist Dostojewski ein wirklich sehr komisches Stück gelungen, welches nicht nur durch seine absurde Geschichte besticht, sondern auch durch die verwirrten Charaktere, die an der Situation beteiligt sind und versuchen daraus das Beste zu machen. Der deutsche Besitzer des Krokodils möchte möglichst viel Geld mit der neuen Sensation verdienen, die Frau Matwejitschs will sich endlich scheiden lassen, ein Kollege versucht Schwierigkeiten zu vermeiden und sinniert über die Frage, ob der Aufenthalt im Krokodil als Dienstreise angerechnet werden kann, da Matwejitsch doch allerhand über das Innenleben des Biestes in Erfahrung bringen kann. Neben all der Komik ist Das Krokodil aber auch ein unterhaltsames Zeugnis der Zeit, da man in Russland bemüht war, ausländische Investoren anzuziehen – dies erfährt der Leser durch die überaus hilf- und aufschlussreichen Fußnoten, welche, zusammen mit einleitenden Textkommentaren, einen interessanten Rahmen für jede Geschichte bilden und das Erlebnis des geneigten Lesers bereichern.
Eine peinliche Geschichte ereignet sich, da ein hoher Beamter sich entschließt, bei der Hochzeit eines Mannes vorbeizuschauen, der als Untergebener in der gleichen Abteilung arbeitet. Er will Menschenliebe zeigen, Humanismus zum Anfassen. Leider ist er im Umgang mit dem einfachen Volk nicht sonderlich geübt, zudem betrunken in dem Moment, da er die Entscheidung trifft. Eine nicht enden wollende Situation entwickelt sich, die unangenehm für alle Beteiligten ist, am Ende in der völligen Katastrophe kulminiert, die Hochzeit, die Ehe und das Dienstverhältnis des Bräutigams vernichtet.
Dostojewskis Figuren sind unterhaltsam, da sie überzogen daherkommen, sich voller Eifer ins Leben und ins Unglück stürzen. Sie sind keine Komiker, sondern vielmehr existenzielle Tolpatsche, die ihr Dasein durch kleine Dummheiten oder Übereifer verwirken. Darüber kommt der Leser ins Lachen, manchmal muss er staunen oder erschreckt sich gar.
Im vorliegenden Band resultiert die Komik meist aus eben jenen Figuren und ihrer Art, das eigene Leben auf den Kopf zu stellen. Eine Ausnahme bildet das für Dostojewski ungewöhnliche, sehr humoristische Stück Das Krokodil, welches in seiner Absurdität an andere große Schriftsteller denken lässt, die ihren Einfluss auf das Schaffen des Autors Dostojewski hatten, jedoch wenig in das Gesamtwerk des Autors passt.
Die letzten beiden Erzählungen des Bandes geben wenig Grund zum Lachen, sind jedoch nicht reizlos. Zum einen ist da die psychologisch interessante Geschichte Die Sanftmütige, die Kurzbiographie einer Selbstmörderin, erzählt von ihrem dubiosen Ehemann, zum anderen Ein kleiner Held, welcher ganz aus dem Rahmen fällt und einen Versuch des Autors darstellt, ihm ungewohnte Aspekte zu erkunden, was ihm mehr oder weniger misslingt.
Ein anderer Dostojewski wird im vorliegenden Buch nicht präsentiert, aber doch eine unterhaltsame Ergänzung zum Bekannten, auch dank der begleitenden Texte und Fussnoten.
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