Planet Magnon

  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2015, Seiten: 304, Originalsprache
Planet Magnon
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Sebastian Riemann
811001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2015

Die Unmöglichkeit der vollendeten Rationalität

Der Fortschritt der Menschheit wird durch Wissenschaft und Vernunft bewirkt. Wir machen die Welt um uns herum und auch uns selbst effizienter, erhöhen die Funktionalität und die Möglichkeiten, indem wir intelligent agieren. Entwicklung entsteht nicht durch Gefühle, sondern durch den Geist, der die Natur unterwirft, aus Überlegung. Die Zukunft der Menschheit sieht dementsprechend prächtig und vernünftig aus, möchte man meinen. Doch neben all der Technik und dem menschlichen Kalkül zur Transformation der Welt kann das Irrationale des Menschen nicht verschwinden, es ist Teil von ihm und muss bestehen, mag es Wohl oder Übel sein. In seinem futuristisch angehauchten Gesellschaftsroman Planet Magnon zeigt Leif Randt die Fehler einer entmenschlichten Rationalität auf, bizarr und unterhaltsam, in klarer, ungetrübter Sprache. Mit zunehmendem Unwohlsein begleitet man den Protagonisten Marten Eliot auf seiner Mission und erlebt das Zerbrechen des Ideals der Vernunft. Man sieht ihn straucheln und leiden, und darüber ist man dann sehr froh.

Die Menschheit hat die Kontrolle abgegeben an ein super-intelligentes Computersystem, welches die Rolle der Regierungen übernimmt und das Dasein reguliert. Actual Sanity (AS) nennt sich dieses System und wird nicht in Frage gestellt, auch wenn seine Entscheidungen fragwürdig erscheinen. Verwundert waren damals die Menschen, als AS das überregionale Internet verbot und nur noch lokale Netze zuließ, doch sie bekämpften die Entscheidung nicht. Ergeben gegenüber dem Computer blieben sie ruhig und handelten nicht aufgrund ihrer eigenen Überzeugungen oder Überlegungen. Am Ende zeigte sich, dass AS die Lage wirklich verbessert hatte mit seiner Order und der blinde Gehorsam vollkommen gerechtfertigt war. Allen ging es besser und Super-Computer sind halt super. Um die Regulierung des Lebens und um Machtverhältnisse musste man sich also keine Sorgen mehr machen. Die Optimierung des persönlichen Glücks ist folglich der nächste Schritt.

Marten Eliot ist Mitglied eines Kollektivs, zukunftsorientiert und pragmatisch. Da er die Ideen besser repräsentiert als andere Mitglieder, wird er mit dem Auftrag versehen, andere junge Menschen von eben jenen Ideen zu überzeugen und sie zum Eintritt in das Kollektiv zu animieren. Im Sonnensystem gibt es mehrere, konkurrierende Kollektive, die auf Wachstum und Einfluss bedacht sind, das ehrgeizigste ist wohl Dolfin, welches durch Eliot repräsentiert wird. Die Vernunft wird in dieser Gruppe über alles gestellt, alles wird ihr ausgeliefert und untergeordnet. Man lebt nach neuesten Erkenntnissen, man liebt entsprechend und lässt Gefühlen keine große Bedeutung zukommen. Der Protagonist Eliot ist dem Leser entsprechend unsympathisch. Er analysiert alles und jeden in seinem Umfeld, schaut kühl und sachlich auf die Ereignisse.

 

"Ich betrachtete ihren Overall, den ich kurz zuvor noch als zu weit wahrgenommen hatte, den ich aber jetzt schon nicht mehr beurteilen wollte. Ich sah nur noch, dass Emma einen grauen Overall trug, der mutmaßlich zu 75% aus Baumwolle bestand und den man, je nach Situation, als schön oder angemessen, aber auch als problematisch einstufen konnte. All das war legitim und nachvollziehbar..."

 

Der Lebensstil, wie er vom Kollektiv Dolfin propagiert wird, ist nun auch nachvollziehbar und problematisch. Er führt zur weiteren Entfremdung des Menschen, zu seiner Unterwerfung unter das Postulat des Fortschritts und der Rationalität. Der Mensch steht nicht mehr im Zentrum der Welt, sondern wird zu einem Werkzeug für das richtige Leben. Die AS entscheidet was gut und richtig ist, sie vergibt die Gelder für die Kollektive und erlässt Gesetze; wenn ein Kollektiv sich auf dem richtigen Weg befindet, wird es von AS unterstützt. Der Mensch dient der Maschine, die er über sich gestellt hat.

Die Kollektive, die auf den ersten Blick befremdlich anmuten, sind letztlich wenig spektakulär, sie sind die Professionalisierung von Lebensweisen, wie sie uns auch vertraut sind. Auf den Reisen durch das Sonnensystem begegnet Eliot den Anhängern anderer Kollektive, die man als Hippies, Mystiker und Ähnliches verstehen kann, so wie die Menge der Kollektivlosen einer undefinierten Masse entsprechen, die sich nicht festlegen möchten. Mit dem Konstrukt des Kollektivs schafft der Autor sich die Grundlage für seine gesellschaftliche Kritik. Die konsequenten Lebensweisen in diesen Gruppen ist sehr anschaulich, man kann sich leicht ein Bild von ihnen machen und sie verurteilen.

Die Protagonisten sind in ihrer Kargheit durchaus unsympathisch, ihre Gespräche so trocken und einfach, dass man sich als Leser schlecht behandelt fühlt. Kleine Abweichungen der analytischen Routine gibt es nur in Ausnahmesituationen, wenn Drogen genommen werden oder jemand übermüdet ist, und genau diese Situationen sehnt man herbei, damit diese sterilen Protagonisten etwas von ihrer Selbstbeherrschung verlieren. Und dies ist dann auch das Ziel des Romans, der seine Ordnung durch ein neues Kollektiv aus dem Untergrund zerfallen sieht.

Ungewöhnlich in seiner kühlen Sprache besticht der Roman durch seine Idee, die durchaus ansprechend ist und unterhaltsam, gut umgesetzt, auch wenn die Stimmung über den Verlauf des Buches vorhersehbar ist. Randt hat mit Planet Magnon eine Überraschung vorgelegt, etwas Ungewöhnliches, was ausbricht aus dem Erwarteten und einen besonderen Platz im manchmal zu alltäglichen Literaturbetrieb einnimmt.

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