Slum. Eine Geschichte von Leben, Tod und Hoffnung

  • Droemer
  • Erschienen: Januar 2012
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  • München: Droemer, 2012, Titel: 'Anawadi oder der Traum von einem anderen Leben', Seiten: 336, Übersetzt: Peiek Biermann
  • München: Droemer, 2015, Seiten: 336, Übersetzt: Pieke Biermann
Slum. Eine Geschichte von Leben, Tod und Hoffnung
Slum. Eine Geschichte von Leben, Tod und Hoffnung
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Kathrin Plett
901001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2015

Aufwachsen zwischen Hoffnung und Resignation

Indische Slums sind kein Ort, den Touristen auf einer Indienreise zu Gesicht bekommen. Wenn sich doch mal ein Europäer oder Amerikaner in eine dieser Gegenden verirren sollte, dann meistens nur für ein Foto oder um über die Missstände zu berichten, meist jedoch nicht um wirklich etwas zu verändern. Einblicke in das reale Leben entstehen auf diese Weise nicht. Die Besuche sind zu kurz und die Bewohner verständlicherweise nicht bereit, sich wie die Tiere beobachten und interviewen zu lassen. Um ihr Vertrauen zu gewinnen und realistische Reportagen zu schreiben, fehlt dann meist die Zeit, das Interesse und die eigene Bereitschaft, sich für längere Zeit auf das Leben der Slumbewohner einzulassen. Katherine Boo ist diesen Weg gegangen und hat mit „Slum. Eine Geschichte von Leben, Tod und Hoffnung" einen Roman verfasst, der auf ihre eigenen Recherchegrundlagen basiert und in dem sie die Geschichten der Slumbewohner so authentisch wie möglich wiedergibt und sich dabei auf real existierende Personen bezieht.

Annawadi liegt in der Nähe des großen Flughafens von Mumbai. Obwohl sich nicht weit entfernt das bunte Leben abspielt, herrscht in Annawadi große Armut. Das Leben der Bewohner ist ein täglicher Kampf ums Überleben, bei dem selbst Kinder eine tragende Rolle an der Sicherung der Existenz haben und ihren Teil an den familiären Einnahmen beitragen müssen. Trotz aller Enge, Not und Verzweiflung geben die Bewohner nicht auf, denn die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, einem Entkommen aus dem Slum ist die große Gemeinsamkeit, die sie alle teilen. Gefangen zwischen Tradition und Moderne, zwischen Verzweiflung und Lebenswillen, Korruption und Chancenlosigkeit gestaltet sich der Alltag der Bewohner Annawadis, den Katherine Boo in ihrem Roman beschreibt.

Katherine Boo schreibt fest angestellt beim "New Yorker". Ihre Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Mac Arthur "Genius" Grant, dem National Magazine Award for Feature Writing und dem Pulitzer Prize. In den letzten zehn Jahren pendelte sie zwischen Indien und den USA. "Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben" ist ihr erstes Buch.

Katherine Boo schildert in ihrem Roman realistisch und authentisch das Leben der Bewohner des indischen Slums Annawadi. Ungeschönt beschreibt sie den täglichen Kampf ums Überleben. Boo teilt ihre Geschichte dabei in vier Teile auf, in denen sie in erster Linie den Alltag von Asha, Sunil und Manju und ihren jeweiligen Familien begleitet. Besonders interessant dabei: Sie hat ihre Protagonisten selbst während ihrer Recherchen in Annawadi kennengelernt und mithilfe einer Dolmetscherin interviewt. Ihr Buch ist somit nicht rein fiktiv, sondern sehr nah an der Wirklichkeit und fußt auf Indienaufenthalten zwischen November 2007 und März 2011. Selbst die Namen ihrer Figuren sind echt und gehören den Personen, deren Geschichte Boo erzählt. Wie die Autorin, die mit einem Inder verheiratet ist, in ihrem Nachwort erklärt, hat sie Indien während ihrer vielen Reisen in die Heimat ihres Mannes lieben gelernt und es stellten sich ihr viele Fragen, auf die sie keine Antworten finden konnte: „Gibt es in der jeweiligen Gesellschaft eine Infrastruktur für Chancengleichheit? Wessen Fähigkeiten werden vom Markt und von der jeweiligen Wirtschafts- und Sozialpolitik gefördert? Wessen Fähigkeiten werden brachliegen gelassen? Welche Maßnahmen könnten jedem klapperdürren Kind helfen, in weniger Armut aufzuwachsen?" Dadurch, dass sie die Slumbewohner über so lange Zeit begleiten hat, sie viele Akten gesichtet und die Slumbewohner selbst mit Videokameras ausgestattet hat, hatte sie eine Menge an Videos, Tonbändern, schriftlichen Notizen und Fotos zur Verfügung, die ihr ein objektives Bild und tiefe Einblicke ermöglichten, die sie in ihrem Werk verarbeiten konnte. Einfühlsam und ganz nah an ihren Protagonisten beschreibt sie ungeschönt das Leben, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken. Entstanden ist ein Roman zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Mut und Resignation, der ein realistisches Bild auf das Leben der Menschen wirft.

Alles in allem ist Slum. Eine Geschichte von Leben, Tod und Hoffnung ein sehr lesenswerter Roman, der das Leben der indischen Slumbewohner authentisch wiedergibt. Es wird deutlich, wie wichtig Katherine Boo das Schreiben eines realistischen Romans war, der weder von den Problemen des Landes ablenken, noch durch eine besonders tragische Schilderung Aufmerksamkeit erwecken möchte.

Slum. Eine Geschichte von Leben, Tod und Hoffnung

Katherine Boo, Droemer

Slum. Eine Geschichte von Leben, Tod und Hoffnung

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