Die verfluchten Eier

  • Galiani
  • Erschienen: Januar 2014
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  • Berlin: Galiani, 2014, Seiten: 144, Übersetzt: Alexander Nitzberg
Die verfluchten Eier
Die verfluchten Eier
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Sebastian Riemann
791001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2015

Gesellschaftskritik und Sci-Fi Komödie, immer noch aktuell

Professor Pfirsichow ist ein angesehener Zoologe der vierten Staatlichen Universität zu Moskau, er arbeitet hingebungsvoll und unerbittlich, seine Studenten haben Angst vor ihm und seine Frau verlässt ihn mit dem Hinweis:

 

"Einfach nur grässlich deine Frösche. Meine Lebensfreude ist für immer dahin."

 

Eines Tages, seine Frau schon lange weg und vergessen, bemerkt Pfirsichow eine ungewöhnlich lebendige Reaktion unter seinem Mikroskop. Besonders günstig einfallendes Licht hatte einen Strahl erzeugt und die Lebensformen, die er soeben untersuchen wollte, mit erstaunlicher Wirkung verändert. Ungläubig schaut der Professor durch das Mikroskop, kann nur schwerlich verstehen was er dort sieht. Die Lebensformen sind, dort wo der mysteriöse Strahl sie trifft, über alle Maßen reproduktiv, sie wachsen und vermehren sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Eine Sensation. Ein Rätsel, welches wissenschaftlich untersucht werden muss.

Mit Hilfe eines Kollegen entsteht eine Kamera, die den zufällig entdeckten Strahl zuverlässig erzeugen kann. Die Experimente beginnen und liefern beeindruckende Resultate. Besagte Frösche verwandeln sich innerhalb kurzer Zeit in eine Plage im Institut, überfluten es geradezu, so dass man mit chemischen Waffen gegen sie vorgehen muss. Kaulquappen wachsen zu riesigen Fröschen heran, in wenigen Stunden, ihr Lebensdrang ist dabei so groß und wild, sie verschlingen ihre Artgenossen. Sie sind biologische Wunder und quakende Monster.
Natürlich verbreitet sich die Kunde vom sagenhaften Strahl Professor Pfirsichows über die Grenzen des Instituts, ein Reporter erscheint im Laboratorium und stellt Fragen. Pfirsichow wird zum Star Moskaus, gegen seinen Willen. Das Telefon läutet beständig, allerhand Leute sprechen bei ihm vor, jedermann will etwas von ihm, er aber will nur mit seinen Experimenten fortfahren, denn so beeindruckend die Resultate bisher auch waren, die Auswirkungen des Strahles sind nur unzureichend erkundet. Als guter, gewissenhafter Wissenschaftler will er fundiertes Wissen schaffen, nicht Ruhm und Ehre für Versprechungen kassieren.

Die Dinge ändern sich durch eine Hühnerseuche, die zur Katastrophe für den jungen Sowjetstaat wird. In kurzer Zeit sterben alle Hühner, kein einziges überlebt. Aus unerklärlichen Gründen macht die Seuche an den Grenzen des Landes Halt, verschont den Rest der Welt. Die Regierung muss reagieren und entsendet einen gewissen Herrn Vluch, der Pfirsichows Strahl verwenden soll, um das Geflügelproblem zu lösen. Aus Deutschland werden Eier importiert. Die gesamte Hühnerpopulation soll in wenigen Tagen oder Wochen wieder hergestellt werden, doch es kommt anders als erwartet, da der Exporteur in Deutschland wohl etwas durcheinander gebracht hat. Die gelieferten Eier sind keine Hühnereier, sondern Reptilieneier. Der Wunderstrahl erschafft gigantische Schlangen und Krokodile, die der Mannschaft von Herrn Vluch schnell den Garaus machen. Unkontrolliert breiten sie sich aus, verschlingen hilflose Menschen, zerstören Gebäude und drohen das gesamte Land, vielleicht die Welt zu zerstören. Der unachtsame Umgang mit der Erfindung resultiert in der möglichen Zerstörung der Menschheit.

Der junge Sowjetstaat in den 20er Jahren gibt die Kulisse für diesen unterhaltsamen und grotesken Roman: die Geheimpolizei mischt sich in alle Angelegenheiten, man redet sich seit Kurzem mit Genosse an, vergisst es aber hin und wieder, alles ist in Rot getaucht und auch ausländische Spione, ideologische Gegner und Feinde der Räterepublik, versuchen aus der Geschichte um den sagenhaften Strahl Nutzen zu schlagen. Zeitzeugnis und auch Gesellschaftskritik sind Die verfluchten Eier somit, leicht erkenntlich am unüberlegten Auftreten und Handeln der Staatsdiener, aber auch der Reporter.

Klassische Science-Fiction ist dieser Roman, der nicht mit Lasern und Raumschiffen daherkommt, sondern mit einer technischen Entdeckung, deren Auswirkung auf das Gefüge der Welt untersucht wird. Nicht umsonst wird im Buch auf den alten Meister den Genres verwiesen, den einzigartigen H.G. Wells. Mit Krieg der Welten verfasste jener einen Klassiker, der auch noch in unserer Zeit, gute 117 Jahre später, das Publikum zu begeistern weiß. Und wer kennt nicht die Geschichte vom Hörspiel, welches 1938 für wahre Münze genommen wurde und viele Leute in Panik versetzte, da sie die Erde einem Angriff von Außerirdischen ausgesetzt dachten. Bulgakows Büchlein lehnt sich an jenes alte Genre an, nicht ohne dabei seinen Schabernack zu treiben, den ganzen Glauben an die Technik ein wenig auf die Schippe zu nehmen. Dies sorgt unter anderem für die Aktualität dieses Textes aus dem Jahre 1924. Denn der Glaube an die Wunder, welche uns der technische Fortschritt bringen kann, ist nicht nur ungebrochen, er ist gewachsen, nichts scheint unmöglich, alles nur eine Frage der Zeit. So braucht man nur die Faszination, die Pfirsichows Strahl auslöst, und die Möglichkeiten, die man sich von ihm erhofft, auf die Entdeckungen unserer Zeit übertragen und wenig Unterschied wird man bemerken zwischen den Schlagzeilen unserer Boulevard Presse, die Leben auf dem Mars ankündigt oder geklonte Menschen, und den marktschreierischen Pressemitteilungen im Buch.

Die verfluchten Eier

Michail Bulgakow, Galiani

Die verfluchten Eier

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