Veronika beschließt zu sterben

  • Steinbach
  • Erschienen: Januar 2000
  • 3
  • Rio de Janeiro: Objetiva, 1998, Titel: 'Veronika decide morrer', Seiten: 221, Originalsprache
  • Schwäbisch Hall: Steinbach, 2000, Seiten: 4, Übersetzt: Ursula Illert, Bemerkung: Kassetten-Version
  • Zürich: Diogenes, 2002, Seiten: 223, Übersetzt: Maralde Meyer-Minnemann
  • Schwäbisch Hall: Steinbach, 2004, Seiten: 5, Übersetzt: Ursula Illert, Bemerkung: Ungekürzte Lesung
  • Zürich: Diogenes, 2009, Seiten: 5, Übersetzt: Ursula Illert, Bemerkung: Ungekürzte Lesung
Veronika beschließt zu sterben
Veronika beschließt zu sterben
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Christian Brockhaus
851001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2011

Ein Buch für Verrückte und alle, die es werden möchten.

Als Veronika beschließt zu sterben, hat sie im Grunde keinen konkreten Anlass dazu. Sie mutmaßt über die Monotonie ihres möglichen, standardisierten Lebens inmitten einer gleichgültigen Gesellschaft. Sie ist nicht einmal unglücklich; ist sich aber sicher, dass das Leben ihr nicht viel zu bieten hat, und sie lieber jung, gesund und schön sterben möchte als sich am Ende eines unerfüllten, schmerzvollen Lebens einem ungewissen Tod zu stellen. Zudem überlegt sie, ihren Tod einem Journalisten, der mit der Frage "Wo liegt Slowenien?" einen Artikel über ein Computerspiel einleitet, zuzuschreiben. So hätte ihr Ableben dank eines möglichen pathetischen Abschiedsbriefes aus banalem Grund den Sinn, die Menschen auf die Existenz ihres geliebtes Heimatland hinzuweisen. Doch als Veronika nach ihrem Suizidversuch in einem Krankenhaus aufwacht, wird ihr bewusst, dass ihr Leben weitergeht. Dass sie irgendwer gefunden und gerettet haben muss. Dass sie nach fünf Tagen auf der Intensivstation ausgerechnet nach Villete verlegt worden ist, der berüchtigten psychiatrischen Anstalt in Ljubljana, versetzt ihr anfangs einen Schock. Angeblich werden hier die Verrückten weggesperrt. Angeblich kommt hier niemand mehr heraus. Und wer zurückkehrt trägt für immer das Brandmal, nicht normal zu sein.

Nach eingehender körperlicher Untersuchung wird Veronika durch Dr. Igor, dem ärztlichen Leiter der Anstalt, mitgeteilt, dass ihr Herz bei ihrem Suizidversuch durch die eingenommenen Medikamente irreversibel geschädigt worden ist, und ihr noch eine Woche zum leben verbleiben.
Schlagartig wird Veronika bewußt, dass sie sich nun mit ihrem nahenden Tod auseinandersetzen muss; wie wertvoll jeder verbleibende Tag doch ist. Sie lernt Zedka kennen, eine langjährige Patientin in Villete, von der sie Abläufe und Zusammenhänge in der Einrichtung erfährt. Aber Zedka bringt Veronika auch zum Nachdenken über ihr Leben, über den Wert von Zukunft und Freundschaft, über das Privileg, als verrückt zu gelten. Verrückte können tun wonach ihnen der Sinn steht, denn sie sind ja verrückt. Grenzen werden aufgehoben, Horizonte erweitert. Veronika spürt, dass ihr genau das in ihrem bisherigen Leben gefehlt hat: Über alle Rationalität hinaus zu leben. Schmerzlich muss sie feststellen, dass ihr die verbleibende Zeit wie Sand durch die Finger rinnt, und zum Leben nicht mehr viel Gelegenheit besteht. Sie lebt ihre Sehnsucht und Liebe durch nächtliches Klavierspiel in der mondbeschienenen Halle der Klinik aus, dem bald Eduard, ein autistischer Patient mit selektivem Mutismus beiwohnt, um ihrer Musik zu lauschen. Zu diesem entwickelt sie ein besonderes Verhältnis, welches erfüllender und erlösender ist, als alles, was sie bisher kannte. Ein unsagbares Verlangen nach Leben überkommt Veronika, welche gelernt hat, dass Verrücktheit Freiheit und Grenzenlosigkeit bedeutet. Aber ihre Zeit läuft unabwendbar ab...

Paulo Coelho schafft es in diesem Buch, die Geschichte Veronikas ab der ersten Seite an so zu schreiben, dass der Leser vollkommen in die Umgebung von Villete samt ihrer Figuren eintaucht. Die sehr menschlichen Gespräche unter den Patienten sind in einem Maße aus dem Leben gegriffen, dass jede Emotion nachvollziehbar und berührend vermittelt. Verrücktheit und psychisches Anderssein erscheinen in einem sehr sympathischen Kontext und öffnen den Blick auf die Ablehnung der Gesellschaft gegenüber scheinbar Kranken. Ich habe bei der Lektüre des Romans viele Parallelen für mein eigenes Leben feststellen können. Wer träumt nicht einmal davon, Konventionen zu durchbrechen, verrückt zu sein ohne Fragen beantworten zu müssen, kurz: man selber sein dürfen. Die Worte "Leben jeden Tag so, als wäre es dein letzter!" bekommen hier eine Bedeutung, gelungen finde ich auch die Metapher des "Vitriols", einer Substanz im Menschen, welche Bitterkeit verursacht, und die Menschen krank macht. Dr. Igor entwickelt eine Methode, dieses Vitriol aus den Körpern der Patienten zu eliminieren und schreibt ein Buch darüber. Wieviel dieses Giftes trägt jeder von uns in sich? Gibt es eine Heilung? Ja, die gibt es, und nachdem ich dieses Buch beendet habe, lag die Lösung förmlich auf der Hand. Dieser Roman ist ein Buch für Verrückte und alle, die es werden möchten. Im besten Sinne, wenn der Leser sich darauf einlassen kann. Ein Buch, das Mut machen kann, wenn es mit Offenheit gelesen wird.

Veronika beschließt zu sterben

Paolo Coelho, Steinbach

Veronika beschließt zu sterben

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