Professor Unrat oder das Ende eines eines Tyrannen

  • Wolff
  • Erschienen: Januar 1917
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  • Frankfurt am Main: Edition Büchergilde, 2014, Seiten: 232, Originalsprache
  • Leipzig: Wolff, 1917, Originalsprache
Professor Unrat oder das Ende eines eines Tyrannen
Professor Unrat oder das Ende eines eines Tyrannen
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Sebastian Riemann
891001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2014

Verderben muss man ihnen – immer mal wieder – das ganze Leben

Professor Raat hat es nicht leicht. Er wird tagein, tagaus mit Spott überzogen, von allen Seiten. Seine Schüler lassen sich keine Gelegenheit entgehen, dass Wort „Unrat" in seiner Gegenwart zu verwenden und sich über ihn lustig zu machen. Der Unterricht ist ein Hin und Her, ein Kampf zwischen Lehrer und Kindern und beide Seite sind nicht bereit nachzugeben. Der Professor ist streng und lebt davon, seine Schüler in Angst zu sehen. Sie hingegen suchen immer das Chaos, wollen irgendwo Unrat wittern, laut aufschreien und die Herrschaft der Ordnung brechen. Der Lehrer Unrat sieht überall Verrat und Niedertracht, bei seinen Schülern und bei seinen ehemaligen Schülern. Jeder im Ort ist darauf aus, sich über ihn lustig zu machen, seinen Namen in den Dreck zu ziehen.

Unrat gibt sich aber nicht geschlagen, auch wenn er den ganzen Ort gegen sich sieht. Er will es allen verderben, will ihnen Steine in den Weg legen, wo er nur kann, damit sie, diese niederen Kreaturen, nicht ungestraft davonkommen. Er will sie fassen. Er will ihnen nachweisen, dass sie ihn beschimpft haben, damit er sie bestrafen kann. Von der Schule will er sie schmeißen und damit ihre Chancen auf eine lebenswerte Zukunft verdunkeln. Karrieren will er verhindern.

Heinrich Mann hat mit Professor Unrat eine Figur erschaffen, die Ordnung, Wissen und gebührliches Benehmen über die grundlegenden Werte des menschlichen Zusammenseins stellt. Er will sich mit niemanden gut stellen, sondern alle unterwerfen und besiegen. Weil sie alle schlechte Menschen sind, hat er das Recht ein Tyrann zu sein und sie zu quälen. So sieht er es und die bürgerlichen Ideale scheinen auf seiner Seite zu stehen. Die Streiche der Jungen sind respektlos und es ist wohl Aufgabe des Lehrers sie zu erziehen, sie zu guten Bürgern zu machen. Und wer sich nicht umerziehen lassen will, der muss gehindert werden, auf dass er später keinen Einfluss auf die Gesellschaft haben kann. Es gibt nur ein System von Werten, Unrat ist sein Vertreter.

Alles gerät jedoch durcheinander als der biedere Professor die Künstlerin Rosa Fröhlich trifft und sich sogleich zu ihrem Beschützer aufschwingt. Die Frau tanzt im Lokal Der Blaue Engel und wie Unrat weiß, hat sie Kontakt zu drei Schülern von ihm. Natürlich ist solch ein Umgang für die Jungen des Gymnasiums völlig inakzeptabel und ruft nach der Intervention des Sittenhüters. Nur so lässt sich erklären, wie Unrat es auf sich nahm das Lokal zu betreten und sich unter das gemeine Volk zu mischen. Und so erklärt er sich dann auch weiterhin seine Besuche bei der Künstlerin. Er muss sie dauerhaft von den Schülern getrennt halten, um seine Pflicht zu erfüllen. Weil er ihr Gönner ist, bezahlt er auch gern den Champagner und hilft ihr mit den Vorbereitungen für die Vorstellung. Als Gegenleistung darf er die Gegenwart der selbstbewussten jungen Dame genießen. Seine Zuneigung wird immer größer, bald erachtet er sie als ein höheres Wesen, das über den anderen Menschen steht und besondere Rechte genießt.

Professor Unrat taucht immer tiefer in die Welt der Künstlerin ein und verlässt somit den Weg, der von ihm gepredigten Tugend. Nur er selbst will es sich nicht eingestehen, während die ganze Stadt darüber redet. Unrat und Fröhlich werden zur Attraktion, zum Zentrum des gesellschaftlichen Abendlebens, sie versammeln angesehene, gebildete und wohlhabende Persönlichkeiten um sich, spielen um viel Geld, trinken und speisen mit ihnen. Gerüchte machen bald die Runde, dass auch die Grenzen der Sittsamkeit überschritten werden.

Heinrich Mann war der ältere Bruder von Thomas Mann, und ein kluger Kritiker der bürgerlichen Verhältnisse in Deutschland. Professor Unrat erschien 1905 zum ersten Mal und wurde sehr missbilligend aufgenommen, fand jedoch später und auch im Ausland viel Anklang, nicht zuletzt durch die Verfilmung mit Marlene Dietrich aus dem Jahre 1930. Das Buch wird oft im Zusammenhang mit Der Untertan genannt, welches sich auch der Kritik an bürgerlichen Idealen annimmt. Beiden ist die Kritik am Obrigkeitsdenken gemein. Der Untertan verehrt den deutschen Kaiser und entmündigt sich dadurch, während Professor Unrat seine Schüler entmündigen und zu bloßen Statisten degradieren will.

 

„Es wollte nicht ruhig werden; Unrat glaubte, sich nur noch durch einen Gewaltstreich retten zu können. Er stürzte sich, ehe jener es vermuten konnte, auf Lohmann, packte ihn am Arm, zerrte und schrie erstickt: "Fort mit Ihnen, Sie sind nicht länger würdig, der menschlichen Gesellschaft teilhaftig zu sein!" „

 

Der Band der Edition Büchergilde ist mit Illustrationen von Martin Stark versehen. Sie verleihen dem Text eine besondere Note, da sie hervorragend die Atmosphäre der Szenen einfangen, seien es die Abende im Blauen Engel, die Angst der Schüler vor ihrem Lehrer oder die Verführungskünste der Rosa Fröhlich. Für seine Arbeit erhielt Stark den Büchergilde Gestalterpreis 2014.
Das Buch ist sowohl inhaltlich als auch gestalterisch ein ganz besonderes Stück und sollte in keiner Sammlung fehlen. Es ist deutsche Kulturgeschichte, neu vermittelt.

Professor Unrat oder das Ende eines eines Tyrannen

Heinrich Mann, Wolff

Professor Unrat oder das Ende eines eines Tyrannen

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