Outlaws

  • Barcelona: Lumen, 2012, Titel: 'Las leyes de la frontera', Originalsprache
  • Frankfurt am Main: S. Fischer, 2014, Seiten: 512, Übersetzt: Peter Kultzen
Outlaws
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Sebastian Riemann
711001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2014

Kampf und Verwirrungen im jungen Spanien

Spaniens Demokratie ist jung. Während die Diktaturen in Deutschland und Italien im zweiten Weltkrieg besiegt wurden, konnte sich der General Francisco Franco als Alleinherrscher des spanischen Staates bis zu seinem Ableben im Jahre 1975 an der Macht halten und seinem Land die Demokratie verwehren. Die Folgen dieses verspäteten Wandels sind noch heute zu bemerken. In seinem neuesten Buch befasst sich Javier Cercas mit der Zeit, da Spanien das Erbe des Diktators hinter sich lassen wollte. Die Transición war geprägt vom Kampf neuer und alter Kräfte, vom Ringen um die Neugestaltung des Landes. Dabei spielten nicht nur politische Parteien eine Rolle, sondern auch alte Militärs und die Guardia Civil, die noch 1981 versuchten eine neuerliche Diktatur zu errichten. Eine Zeit des Aufbruchs, aber auch des Chaos. Ort der Handlung ist der Norden Kataloniens, die Stadt Gerona, in der Nähe Barcelonas.

Ein Sechzehnjähriger spielt Flipper in einer Spielhalle, als plötzlich eine Gruppe ihm unbekannter Jugendlicher auftaucht. Ein Junge und ein Mädchen drängen ihn zur Seite, übernehmen den Flipper, und er bleibt verdutzt stehen. Das Mädchen ist das Schönste, was er in seinem Leben gesehen hat, er ist auf der Stelle verliebt. Der Junge macht, was er will, ob es Brillenschlange – so der Spitzname, den sie ihm kurzerhand gegeben haben – gefällt oder nicht. Denn Brillenschlange ist ein Kind der Mittelschicht, lebt in geordneten Verhältnissen, während die Anderen Quinquis sind, Herumtreiber aus den Notunterkünften am Rande der Stadt. Sie kommen aus zerrütteten Familien und haben wenig Aussichten auf ein schönes Leben. Im Rotlichtviertel hängen sie ab, trinken Bier und rauchen Joints. Sie sind eine Gang und Tere, dieses hübsche Mädchen, ist Teil der Gang. Deshalb will Brillenschlange auch ein kleiner Ganove werden, um in ihrer Nähe zu sein. Und weil er eine romantische Vorstellung von Gesetzesbrechern hat. Für ihn sind sie Kämpfer der Gerechtigkeit, ganz so wie im Fernsehen. Er ist sechzehn Jahre alt, natürlich fasziniert ihn eine Bande mit einem hübschem Mädchen.

Das Buch hat einen journalistischen Charakter. Im ersten Teil, „Jenseits" genannt, führt der (fiktive) Autor Interviews mit Ignacio Cañas, so der bürgerliche Name von Brillenschlange, und Inspektor Cuenca, der die Bande in den 70ern verfolgte und auch zur Strecke brachte. Sie erzählen abwechselnd von der Entwicklung des Anführers Zarco und seiner Truppe. Die verhinderte Liebesgeschichte zwischen Tere und Ignacio kommt dabei auch immer wieder hoch, ohne dass geklärt werden kann welche Absichten das Mädchen damals hatte. Vielleicht war sie auch die Freundin Zarcos. Die Interviewpartner sind sich unschlüssig. Ebenso im zweiten Teil, „Diesseits" genannt. Das Interview mit Cañas wird fortgeführt, diesmal jedoch abgewechselt mit den Darstellungen des ehemaligen Gefängnisdirektors der Stadt Gerona.

Die Bande hatte sich radikalisiert, nachdem ein Teil von ihnen der Polizei in die Fänge ging. Sie kauften sich Waffen und begannen Banken zu überfallen. Inspektor Cuenca war ihnen dabei immer auf den Fersen, letztlich konnte er mit Unterstützung der restlichen Polizisten eine Falle stellen und die Bande auf frischer Tat ertappen. Zarco, der Anführer, wurde gefasst und verurteilt, gleich seinen Gehilfen. Brillenschlange jedoch konnte entwischen und die hübsche Tere war nicht beteiligt, sie besuchte eine Freundin in Barcelona. Im Gefängnis wird Zarco zur Berühmtheit, ein Symbol für das Aufbegehren, ein moderner Robin Hood, ein inspirierender Rebell. Film, Fernsehen und Literatur werden ihm gewidmet und der Mythos Zarco entsteht. Brillenschlange Cañas kehrt in sein altes Leben zurück, nimmt die Schule wieder auf, wird Anwalt. Und eines Tages sehen die beiden sich wieder, da Zarco nach Gerona verlegt wird und Cañas ihn verteidigen soll. Tere bittet ihn darum und natürlich kann er ihr immer noch keinen Wunsch abschlagen.

Das Buch lebt vom Unausgesprochenen. Die Fragen danach, wer die Bande bei der Polizei verraten hat, oder ob Tere die Zuneigung zu Brillenschlange nur vortäuscht, um ihn zu instrumentalisieren, stehen im Zentrum dieser Ganoven- und Gesellschaftsgeschichte. Bald kommt man jedoch dahinter, dass es keine wirkliche Auflösung geben wird, dass zentrale Fragen, die von großer Bedeutung für Cañas sind, nicht geklärt werden. Die Ungenauigkeiten in den Darstellungen, die Ausflüchte der beiden Quinquis, auch seine eigene Unsicherheit und Ignoranz, alles legt einen Schleier über das Geschehen, welcher durchaus interessant sein kann, im vorliegenden Buch jedoch das Durchhaltevermögen des Lesers arg herausfordert. Man spürt, dass Cañas nie das erreichen wird, was er will, nie wissen wird, was er wissen will. Und so bringt das Versteckspiel der Intentionen mehr Ermüdung als Spannung hervor. Hinzu kommt die zeitliche Distanz. Des Öfteren erwähnen die Interviewpartner, dass alles schon so lange zurückliege, dass sie sich nicht mehr recht erinnern können. Auch diese Ungenauigkeit trägt nicht zur Spannung bei. Denn letztlich bleibt alles nebulös.

„Jetzt aber sah ich sie wieder so wie bei unserer ersten Begegnung im Spielsalon Vilaró und wie während des ganzen Sommers: Spöttisch, selbstsicher, strahlend, das hübscheste Mädchen, das ich kennengelernt hatte. Ich wich ihrer Frage aus, indem ich meinerseits fragte, ob sie ein Bier wolle."

Javier Cercas lebt derzeit in Gerona, wo er als Professor für spanische Literatur tätig ist. Im Jahr 2011 erschien sein Essay Anatomie eines Augenblicks in Deutschland, welcher sich mit dem Putschversuch 1981 in Spanien befasst. Cercas wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Outlaws ist sein fünfter Roman.

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