Gestalt des letzten Ufers

  • DuMont
  • Erschienen: Januar 2014
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  • Köln : DuMont, 2014, Seiten: 16777215, Übersetzt: Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel
  • Paris: Flammarion, 2013, Titel: 'Configuration du dernier rivage', Originalsprache
Gestalt des letzten Ufers
Gestalt des letzten Ufers
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Sebastian Riemann
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Belletristik-Couch Rezension vonSep 2014

Schwer und leer und doch schön

Wenn man Gedichte von Michel Houellebecq in die Hand nimmt, hat man eine gewisse Erwartungshaltung. Der französische Kultautor ist bekannt für seine harte, mitunter brutale Sicht auf die moderne Gesellschaft und die in ihr verzweifelnden Individuen. In seinen Romanen zeichnete er düstere Bilder der Zwischenmenschlichkeit. Sein nunmehr dritter Gedichtband schließt sich dieser Grundhaltung an, kann aber trotzdem überraschen, da er sich von einer Verzweiflung und Aussichtslosigkeit tragen lässt, die fast schon versöhnlich wirkt und die Welt nicht mehr ganz so feindlich sieht. Erschöpft und lethargisch leidet, klagt und beschimpft er, und bewahrt dabei seine kühle Distanz. Manchmal kann der Leser dabei ermüden, manchmal wird er aufgeschreckt.
In fünf Abschnitte unterteilt sich der vorliegende Band. Die Stimmung ist gleichbleibend, ob es um eine verlorene Liebe geht, Selbstmordgedanken, schweinsgesichtige junge Frauen oder die Leere der Nacht. Houellebecq bleibt sich treu und auch seinen Anhängern.

In der ersten Sammlung von Gedichten, die graue fläche, dominiert das Fehlen von Bedeutung und Orientierung. Der Weg, der zur grauen Fläche mutiert, hat all seine Bestimmung verloren. Ein Weg hat Richtung, er führt von einem Ort zum anderen, er verbindet zwei Räume, die mit Leben und Bedeutung erfüllt sind. Physisch ist er jedoch nicht mehr als grauer Asphalt, eine Fläche. Jemand, der nichts hat, woran er sich orientieren kann, der kein Ziel mehr verfolgt, der sieht in einem Weg nur noch diese Fläche. Er sieht Flächen und Räume ohne Bedeutung, er entzieht der Welt die Lebendigkeit und letztlich auch sich selbst. So verliert sich nüchtern und ohne Aufregung der Weg:

 

„Stets kommt der Moment, in dem man rationalisiert,
Stets kommt ein Morgen mit zerstörter Zukunft
Der Weg ist nichts mehr als eine graue Fläche
Ohne Reiz und ohne Freude, gemächlich demoliert"

 

In die gefilde der leere findet sich viel Liebe – sie wird versagt, verloren oder jeglicher Existenz beraubt. Schmerzen stecken in jeder Zeile und nichts ist geblieben von alter Euphorie. Liebe ist Leiden in Houellebecqs Welt, das ist wenig überraschend. Es hätte ihm ohnehin niemand geglaubt, wenn er in romantisches Säuseln verfallen wäre, wenn er den Duft der Blumen und das Grün der Wiese hervorgetan hätte. Liebe ist bei ihm die Hoffnung auf etwas besseres, aber eine Hoffnung, die enttäuscht werden muss und letztlich alles zum Schlechteren wendet, zu mehr Leid als vorher. Eine unglückliche Liebe, die wenig Linderung in Form schöner Erinnerungen bereithält, aber mit dem intensiven Gefühl des Verlustes überzeugt. Am Ende steht immer wieder das Ende.

 

„Nach einigen Monaten
(Oder einigen Wochen)
Bist du meiner müde,
Du, die ich zur Königin gemacht habe.

Mir als schwergeprüftem Sterblichen
War das Risiko bekannt;
Die Sonne, rund wie ein Diskus,
Strahlt über meinem verreckten Leben."

 

Der Graben, der sich zwischen den Autor und die Gesellschaft der restlichen Menschen zieht, ist tief und faszinierend, immer wieder muss er hineinschauen, zu den Anderen hinüber, muss sich bewußt machen, wie er sich entfernt von dem, was andere als Leben empfinden, was sie lieben und schätzen. Houellebecq bewegt sich entgegen der allgemeinen Fließrichtung, er steht im Gegensatz zu seinen Mitmenschen. Was sie wollen, kann ihn nicht reizen, wenn sie nach mehr Leben dürsten, zieht es ihn zu einem Ort, an dem er seinem Tod näher kommen kann. Er verkehrt dabei Richtungen und Intentionen. Willentlich wirft er sich somit aus der Gemeinschaft.

Aus der Sammlung plateau:

 

„Zur Stunde, da letzte Nachtschwärmer heimwärts streben
Werde ich ein Taxi nehmen nach Charles-de-Gaulle, Terminal I
Meine Winterferien werden das Vorspiel sein
Für das Schwinden eines unzweckmäßigen Körpers."

 

Michel Houellebecq ist der Superstar der französischen Literatur, nicht nur im positiven Sinne. Ihm werden Islamfeindlichkeit und Diskriminierung von Frauen vorgeworfen. Kritiker und Feinde hat er viele, Leser hat er jedoch noch mehr. Er ist ein Skandal, in Romanen, Gedichten, Essays oder Interviews. Ein Künstler, der sich viel Freiheiten nimmt, oft zu viele. Doch seine schonungslose Art hat Erfolg, seine Werke werden ausgezeichnet und verkaufen sich gut.

International wurde er vor allem durch Elementarteilchen und die Ausweitung der Kampfzone bekannt, zwei Büchern, die Liebe verneinen und Sex pervertieren. Sie verursachten große Kontroversen, brachten dem Autor Ruhm, aber auch Abneigung. In Deutschland waren beide sehr erfolgreich, ganz im Gegensatz zu den Essays und Gedichtbänden von ihm, welche hierzulande kaum bekannt sind.

Die Gestalt des letzten Ufers ist sicherlich kein Meisterwerk, zu platt und eintönig kommen manche Stellen daher und bringen dem Leser wenig Erhellendes oder Unterhaltsames. Die Bilder, die bemüht werden, die empfundene Leere im Angesicht der stillen Nacht oder die Aussichtslosigkeit nach dem Verlust der großen Liebe, sie ähneln sich zu oft in ihrem nüchternen Stil, zu selten zeigen sie den Genius des Autors. So bleibt der vorliegende Band oft hinter dem zurück, was man erwartet von einem Autor diesen Formats. Trotzdem hat das Buch seine Höhepunkte, die es lesenswert machen und eine interessante Ergänzung bilden zu seinen bekannteren Werken. Wer die Stimmung der Romane mag, der wird auch die Stimmung der Gedichte mögen.

Gestalt des letzten Ufers

Michel Houellebecq, DuMont

Gestalt des letzten Ufers

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