Raketenmänner

  • Bochum: Roof Music, 2014, Übersetzt: Frank Goosen
Raketenmänner
Raketenmänner
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Christian Brockhaus
821001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2014

Sehnsüchte und verpasste Gelegenheiten

Raketenmänner ist ein Buch für Männer, die Träume haben, welche Träume bleiben. Von großen Plänen und ernüchternder Enttäuschung. Frank Goosen nimmt den Leser mit in Momentaufnahmen des Alltags von ganz normalen Typen. Geschichten, welche sich im Verlauf des Buches auf wundervolle Weise verknüpfen, einen Zusammenhang zwischen den Figuren entstehen lassen. Goosens Texte lesen sich wie eine stilistische Mischung der Werke von Ephraim Kishon, Woody Allen, Loriot und Charles Bukowski. Und Goosens gewohnt humorvoller Stil ist es auch, was die Männer in diesem Buch so sympathisch und authentisch werden lässt, ohne sie zu veralbern oder ins Kitschige abzugleiten. Nach dem Erscheinen unzähliger Frauenromane bildet Raketenmänner einen wohltuenden Gegenpol, welcher sich jedoch auch von Frauen hervorragend lesen und eventuell sogar in der Essenz verstehen lässt. Es tut gut, den Mann als empfindliches und wehmütiges Wesen dargestellt zu sehen; einmal so ganz entfernt von der Rolle des Macho und dem ewigen Alleskönner.

Der Autor erzählt die Geschichte von Kamerke, der als freier Journalist in einem Berliner Hotel einbucht und auf der Suche nach einem Seitensprung ist. Nicht ohne Grund, denn seine Frau hat ihn zuerst betrogen. So hat er sich schon seit über drei Wochen nicht mehr zuhause blicken lassen und befindet sich seitdem im Dauereinsatz von Auftrag zu Auftrag. Im Berliner Hotel findet zeitgleich eine Firmentagung statt, auf der Kamerke die ein und andere Person kennenlernt. Unter anderem auch Gaby, mit der er anschließend in seinem Hotelzimmer verschwindet. Doch es kommt anders als vermutet.

Ein junger Mann, Wenzel, der mit dem Geld seines Großvaters (ein ehemaliger Kinobetreiber und Westernfan) einen abgehalfterten Plattenladen aufkauft, den er aus purer Nostalgie und Trotz gegenüber seinem Vater betreibt. Sein Vater Kobusch lebt mit seiner Frau und den beiden Söhnen und seinem Jugendfreund Mike Sabolewski zusammen, welcher weder ein Interesse an einem Job noch an einer eigenen Wohnung hat. Sabolewski lebt sorgenfrei mit seiner Liebe zur Musik und dem Faible, seine Gedanken und Ideen noch immer auf C90 Kassetten aufzunehmen und zu archivieren. Insgesamt taucht in Raketenmänner (welches sich als der Titel eines fiktiven Musikalbums von "Moses & Wolff" herausstellt), wie eine Hommage, immer wieder die Musik der 70er Jahre auf. Die musikalische Ära der frühen Jahre von Stones, Beatles, Dire Straits, Elton John und Co.  verbindet sämtliche Protagonisten; ist zugleich Wiege und Grab ihrer Träume und Hoffnungen.

Im weiteren Verlauf greift Goosen andere Teilnehmer der Berliner Firmentagung heraus und verknüpft diese mit feinen Fäden in die Geschichte der Anderen. Er erzählt von Ängsten und Misserfolg, innerem Streben und äußerer Wahrnehmung und von Sehnsucht nach einer Zeit, in der alles noch unbeschwert und frei war.

Zum Beispiel von Frohnberg, welcher im Hotel eine Präsentation für die Firma hält, von der er weiß, dass ihr Inhalt niemanden interessieren wird. Frohnberg, der weiss, dass seine Tage in dem Unternehmen gezählt sind. Anders als die von Blumberg und Reif, welche immer im Mittelpunkt stehen, zu allem einen Spruch haben, scheinbar über endloses Selbstbewusstsein verfügen. Frohnberg fragt sich, ob das wirklich alles ist, was er vom Leben gewollt hat. Dabei wünscht er sich nichts sehnlicher als ein Haus am Meer ...

Melancholie ist eines der feinen Werkzeuge, welche Frank Goosen meisterhaft einzusetzen weiß. Wohl dosiert streut er sie in das Erleben und Leiden der Männer ein. Allzu nachvollziehbar und verständlich empfindet der Leser hier den Wehmut einer Generation irgendwo zwischen so etwas wie Karriere und dem Wunsch noch einmal zwanzig zu sein. Es tut gut zu lesen, dass hinter der Fassade einer scheinbar heilen Welt erfolgreicher Menschen oft nichts anderes steht als die große Sehnsucht nach dem wilden Gefühl von purem Leben. Goosen (Jahrgang 1966 und selbst ein Kind der frühen Siebziger) stellt seine Charaktere von Anfang an so liebevoll dar, dass die Geschichten nie oberflächlich oder platt wirken. Schon nach einigen Seiten ist klar, wohin die Lesereise geht: in das Innerste der Seele von verletzlichen Männern. In Gedankengänge, die jeder kennt, aber niemand zugibt sie zu haben. Zu all den Sehnsüchten und verpassten Gelegenheiten, die wir mit der eigenen wilden Zeit verbinden. Und die Geschichten verfehlen ihre Wirkung nicht.

Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Buch bei jedem Leser funktioniert. Es gehört an mancher Stelle etwas Selbsterkenntnis dazu und die Fähigkeit, den Finger in die eigenen Wunden zu legen. Aber wem dieses gelingt, der wird viel Freude an diesem Werk haben.
Für die kurzweilige Zeit beim Lesen, den Spaß und die Erinnerung an eigene Momente der Jugend möchte ich dem Autor danken.

Raketenmänner

Frank Goosen, Roof Music

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