Von Zeit und Fluss

  • Manesse
  • Erschienen: Januar 2014
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  • München: Manesse, 2014, Seiten: 1200, Übersetzt: Irma Wehrli, Bemerkung: Michael Köhlmeier (Nachwort)
  • : Manesse, 1939, Titel: 'Of Time and the River', Originalsprache
Von Zeit und Fluss
Von Zeit und Fluss
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Almut Oetjen
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Belletristik-Couch Rezension vonMai 2014

Erfahrungen in Literatur verwandeln

Der junge Südstaatler Eugene Gant, Protagonist aus Wolfes erstem Roman, Schau heimwärts, Engel, verlässt in Von Zeit und Fluss seine Heimat Altamont, Catawba, um in Harvard zu studieren. Er will Autor von Theaterstücken werden. Auf seiner Reise besucht er seinen Vater in einem Krankenhaus in Baltimore. In Harvard freundet er sich mit Francis Starwick an, mit dem er viel Zeit verbringt – trinkend und über das Schreiben und Philosophie diskutierend. Er fühlt sich von seiner Familie und seiner neuen akademischen Heimat in seinen Ambitionen nicht ausreichend unterstützt.

Nach drei Jahren an der Universität kehrt Gant nach Altamont zurück, wo er den Sommer verbringt und auf die Nachricht eines Broadway-Produzenten wartet, dem er sein erstes Stück angeboten hat. Es wird jedoch abgelehnt, und Gant betrachtet diese Ablehnung als persönliches Versagen und Sturz in einen Abgrund. Gant arbeitet in New York als Englischlehrer, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, bis er als Autor entdeckt wird. Es dauert nicht lange, da hasst er die Stadt als unpersönlich und korrupt. Über seine Aussichten als Autor macht er sich keine Illusionen mehr. Er reist nach Europa.

Die Summe aller Augenblicke

Von Zeit und Fluss ist mit seinen rund 1200 Seiten ein sehr langer episodischer Roman. Wolfe schrieb in der Urfassung seines autobiografisch geprägten Werkes 330.000 Worte, die der Verlag keinesfalls veröffentlichen wollte, weshalb der Autor zu Kürzungen gezwungen war. Dennoch weist das Buch noch immer einige Längen und Redundanzen auf. Von Zeit und Fluss ist in acht Bücher unterteilt, die ihre Titel aus dem Mythenfundus erhalten haben und eine Suche des Protagonisten beschreiben. Der Untertitel - Legende des Menschen vom Hunger in seiner Jugend - gibt Aufschluss über die Frage, wonach gesucht wird. Gant begibt sich auf eine Art Pilgerreise, die Suche nach einer Kraft, welche seinen Hunger stillen kann. Dabei geht es auch um den Vater, das Vaterland, beide scheinen in Momenten Synonyme zu sein, und um eine Antwort auf die große Frage nach dem Sinn. In der Umgebung dieser Frage werden Verlustängste und Symbole der Vergänglichkeit sichtbar (darunter Zeit, Kindheit, Rauch aus Schornsteinen). Der Fluss der Zeit ist natürlich ein zentrales Motiv, das sich nicht nur in den Zugfahrten über endlose Schienenstränge und in der Verbindung von Kronos und Rhea in der Überschrift des achten Buches manifestiert.

Die Pilgerreise ist zugleich eine Fluchtbewegung vom Süden in den Norden Amerikas und von Amerika nach Europa. Gant trifft auf Menschen und Orte, die er danach nie wieder sehen wird. Der Roman liest sich in Teilen wie eine Elegie, in anderen wie ein Totengesang. Wenn Tote in einer Reihung aufgezählt werden, unter Angabe von Ort und Todesursache, erinnert dies an Ahnenchroniken im Alten Testament.

Der Stil von Wolfe lässt sich als fieberhaft und getrieben beschreiben, als hätte der Autor das Leben im Detail erfassen wollen, bevor diese Details entschwinden. Wolfe erzählt einen Teil seiner Geschichte, schweift dann ab in seitenlange Beschreibungen von Phänomenen. Dazu gehören die Eingangsszenen am Bahnhof von Altamont und die ewig dauernde Zugfahrt nach Boston, die Gelegenheit bietet, eine Reihe Mitreisende kennenzulernen, die im Folgenden keine Rolle mehr spielen.

Junger Mensch auf Sinnsuche

Gant verkörpert den jungen Menschen, der viel vom Leben erwartet, der jeden Moment nutzen will, es in sich aufzunehmen, um in der kurzen Zeit, die ihm bleibt, das Glück zu finden, weil er ahnt oder weiß, dass mit dem Eintritt in die bürgerliche Erwachsenenwelt die Zeit der Experimente und Möglichkeiten abgeschlossen ist. Und wenn man nicht in der Lage ist, in dieser Normalität seine Heimat zu finden, dann wird es diese Heimat, von der Gant eine idealisierte Vorstellung in seinem Kopf mit sich trägt, niemals geben.

Korrespondierend versucht Gant herauszufinden, was es bedeutet, ein Amerikaner zu sein, wofür Amerika stehen mag. Er reflektiert hier über die unermessliche Weite des Landes, dessen natürliche Landschaften, Gebirge und Ebenen, Flüsse und Wälder. Er setzt den Menschen hierzu in Beziehung und kommt zu der Erkenntnis, dass der Mensch einsam und allein ist, ständig bemüht, Teil der Masse zu sein und zugleich innerhalb der Masse ein Individuum. Wolfe schreibt leidenschaftlich über Gants Suche nach einem höheren Sinn im Leben, die darin sich verstärkende Unsicherheit, beginnend mit einem Todesfall in der Familie, damit endend, dass er seine große Liebe erblickt, deren Namen er, anders als die Leser, nicht kennt, die seine Herzensmitte werden soll.

Von Zeit und Fluss gehört zu den literarischen Werken, die geradezu eine Lektüre herausfordern, die eine aktive Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und der Welt beinhaltet. Unter dem Titel Von Zeit und Strom ist eine ältere Übersetzung bei Rowohlt erhältlich.

Von Zeit und Fluss

Thomas Wolfe, Manesse

Von Zeit und Fluss

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