Zwischenspiel

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2013
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  • Berlin: Argon, 2013, Seiten: 3, Übersetzt: Monika Maron
Zwischenspiel
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Christian Brockhaus
781001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2014

Weißt Du, Schuld bleibt immer, so oder so.

Ich muss ehrlich zugeben: Nach Durchsicht des Klappentextes habe ich mich zunächst geweigert, dieses Buch aufrichtig und ernsthaft lesen zu wollen. Die angebotene Geschichte von Ruth, welche am Tag der Beerdigung ihrer Ex- Schwiegermutter zunächst einer Sehstörung zum Opfer fällt, dann den Friedhof nicht findet, sondern in einem Park eine Konversation mit Lebenden und Toten beginnt schien mir nun doch zu abstrus, um schön zu sein. Ich sollte mich irren.

Nun ist da zunächst Ruth, welche allein in Westberlin lebt, aber ursprünglich aus Ostberlin kommt. Mit ihrer Tochter Fanny verabredet sie sich am Friedhof, um ihrer verstorbenen Schwiegermutter Olga die letzte Ehre zu erweisen. Ihre Erinnerung an Olga ist die von einem Hausmütterchen, an der das Leben und die Liebe vorbeigezogen sind. Ruth bezeichnet sie einmal als "das Idealbild einer Pfarrersfrau"; jedoch ohne dieses herabwürdigend zu meinen. Nachdem Ruth bei einer Haschischparty eine Vision hatte, flüchtete sie von der Hochzeit mit Bernhard, Fanny´s Vater, dessen erstes Kind seit einem Unfall schwerbehindert ist und bei ihm lebt.  Aus diesem "alten" Leben sind ihr nur Olga und Fanny geblieben.

Bevor Ruth sich morgens auf den Weg zum Friedhof machen kann, fallen ihr erhebliche Änderungen ihrer visuellen Wahrnehmung auf. Ihre Umgebung wirkt wie ein impressionistisches Gemälde, pointillisiert, bunt,  voller Wellen und schwingender Punkte. Dieses nimmt sie jedoch ohne Unbehagen auf, da keine körperlichen Missempfindungen sie stören, und die Welt um sie herum doch so auch viel bunter und lebendiger wirkt. So nimmt sie es auch hin, dass die verstorbene Olga plötzlich im Wohnzimmer auftaucht, und mit ihr spricht. Das Gesicht von Olga kann sie im Gegensatz zu anderen Dingen jedoch klar und deutlich erkennen. Nach einem kurzen Gespräch löst sich Olga dann wieder in Luft auf.

Im Straßenverkehr fühlt sich Ruth durch die neue Art zu sehen zwar ein wenig eingeschränkt, da sie trotz Christina (der Stimme ihres Navigationsgerätes) den Friedhof nicht finden kann. Statt dessen findet sie sich kurze Zeit später in einer Parkanlage wieder, welche sie optisch ebenfalls nur verschwommen und entfremdet wahrnimmt. Doch auch hier taucht nach kurzer Zeit Olga wieder auf, mit der Ruth auf einer Bank sitzend  ein anregendes Gespräch über Ereignisse in ihrem Leben führt, zu der sie nun die ersehnten Antworten und Erklärungen bekommt. Auch Bruno, ein ehemaliger Freund von Ruth´s Ehemann Hendrik, taucht auf, obwohl er schon seit längerem nicht mehr unter den Lebenden weilt. Bruno hat sich schon früh entschieden, "dem Leben lieber seine Leber als seinen Verstand zu opfern". Auch von ihm erfährt Ruth viele Dinge über Hendrik und seine Arbeit sowie seine Loyalität als Freund, welche ihre Sichtweise auf ihr eigenes Leben und die Zusammenhänge darin erweitert und erhellt. So wird ihr dann auch bewusst, dass Bernhard (Fannys Vater) nach der Ausreise von Ruth, Hendrik und Fanny nach Westberlin weiter als IM für das Regime der DDR tätig war und über den Kontakt mit Fanny weitere Informationen zur Familie an die Stasi weitergeben konnte.

Alle Menschen die, wie Ruth, sich noch lebend durch diesen Park bewegen, sieht sie wie die übrige Umgebung noch immer nur schemenhaft und verschwommen, so dass schon bald klar wird, dass es sich hierbei nur um eine Vision oder einen sehr besonderen Tag handeln kann. Wann wird man auch schon einmal durch die Verstorbene von der eigentlichen Beerdigung abgehalten?

Auch der verschwommene Hund Nicky, der aufgrund seiner verwaschenen Erscheinung den Lebenden zugerechnet werden muss, gesellt sich zu Ruth und nimmt dankbar ihre Gesellschaft und die für ihn erworbene Bratwurst an. Er weicht Ruth nicht mehr von der Seite, selbst wenn im Park auch noch Erich und Margot Honecker auftauchen; sie fluchend und herrisch, er devot und fast weinerlich. Von Nicky angeknurrt wird dann der Sozialismus von Margot Honecker auf das Schärfste verteidigt. Selbst der Hinweis an Frau Honecker, dass ihr Gatte Erich schon vor einiger Zeit das Leben ausgehaucht hat, und die DDR schon seit dem Ende der Achtziger Jahre nicht mehr existiert, tut der surrealen Szene keinen Abbruch.

Langsam fühlt man sich beim Lesen in dieser herrlich bunten Welt richtig wohl. Monika Maron stellt die Charaktere authentisch und sympathisch dar, ohne den Bogen zu überspannen. An einigen Stellen wirkt die Geschichte jedoch sehr wie ein Schulaufsatz zum letzten Sonntagsausflug. Maron macht dieses aber durch witzige Konversationen und einer stimmigen Verknüpfung der Figuren untereinander wieder wett. Die sukzessive Aufdeckung von Ruths Vergangenheit gelingt Maron fabelhaft. Wie ein Puzzlespiel fügen sich die Teile zusammen, und geben der kurzen aber kurzweiligen Geschichte ihre Würze. Zwischenspiel ist beste Unterhaltung für einen Nachmittag, den man zusammen mit Ruh im Park verbringen möchte. Der Tag, die Visionen und die Geschichte endet ebenfalls am Abend. Als die Sonne untergegangen ist, normalisiert sich Ruths Sicht wieder. Einzig Nicky, der treue Begleiter für einen Tag, ist noch real vorhanden und deutlich sichtbar. Nachdem auch der Hund von seinem eigentlichen Besitzer zurückgerufen wird, verlässt Ruth den Tag. Diesen einen, besonderen Tag, der ihr bei verminderter Sicht doch so viel an Klarheit gegeben hat. Und ich als Leser sehe jetzt auch klarer. Nicht der Klappentext erzählt die Geschichte, sondern das, was wir auf den Seiten miterleben dürfen ...

Ich habe mich gut unterhalten gefühlt in diesem Wirbel von Farbe und Phantasie. Monika Marons Roman ist kein Meisterwerk, sondern wirklich kurzweilige Unterhaltung der humorvollen Art. Handwerklich wird hier eine stimmige, in sich geschlossene Geschichte erzählt. Die Protagonisten werden klar und detailliert gezeichnet und werden unter Marons Ideen zum Anfassen lebendig.

Zwischenspiel

Monika Maron, Argon

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