Mittelmänner

  • New York: Simon & Schuster, 2013, Titel: 'Middle Men', Originalsprache
  • München: Liebeskind, 2014, Seiten: 304, Übersetzt: Matthias Müller
Mittelmänner
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Sebastian Riemann
731001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2014

Ganz normale Männer im Golden State

Scheint die Sonne heller in Kalifornien? Wollen nicht alle jungen Männer Basketball auf den Courts von Venice Beach spielen und später NBA-Stars werden? Fällt der Glanz Hollywoods auf das Dasein der Arbeiter der Filmindustrie? Sind die Menschen in Kalifornien nicht einfach gut gelaunt, genießen das gute Wetter, die Fahrt im Cabrio, all die kleinen und großen Freuden des Lebens? Jim Gavin antwortet auf diese Fragen mit einem klaren "Nein". Der Erzählband Mittelmänner ist eine ehrliche Absage an die Klischees, welche dem Bundesstaat an der Westküste der USA anhaften, welche er auch selbst sehr erfolgreich nährt. Der Grundton im Buch erinnert an den Film "The Descendants", mit George Clooney in der Hauptrolle, der sich alltäglichen Problemen auf den paradiesischen hawaiianischen Insel stellen muss. Auch auf Hawaii und in Kalifornien müssen die Leute ihre Rechnungen bezahlen, gehen Ehen in die Brüche, wird jemand erschossen oder stirbt an Krebs - und eine abgestandene Coke schmeckt auch dort nicht mehr gut. Gavin geht sogar weiter, es reicht ihm nicht, den Golden State mit nüchternem Auge zu betrachten, er stellt den American Dream und auch die Werte der Gesellschaft in Frage, mit klaren Worten und lebensnahen Geschichten. Das Debüt von Jim Gavin erregte viel Aufsehen in den USA und ist nun endlich auch in deutscher Sprache erhältlich.

Sechs mal berichtet Gavin von jungen, jüngeren und nicht mehr ganz so jungen Männern, die versuchen, ihr Leben in den Griff zu bekommen, ihre Träume jagen, sich gehen lassen oder nach harten Zeiten wieder auf die Beine kommen wollen. Die Stimmung ist oft niederdrückend, aber Gavins Männer geben nicht auf, sie sind alles andere als Helden wenn man es böse mit ihnen meinen würde, könnte man sie allesamt als Versager bezeichnen, aber sie sind viel zu mitfühlend beschrieben, man ist nicht in der Lage, ein derart hartes Urteil über sie zu fällen sie sind oft verzweifelt und wirken orientierungslos, aber trotzdem machen ihre Geschichten Mut und laden ein die Tiefschläge des Lebens nicht immer so ernst zu nehmen. Es geht um zerrüttete Familien, verflogene Liebe, Showbusiness, Vertreter für Sanitäranlagen, Klempner und Rückrufaktionen für Schwimmerhähne, manchmal scheint auch die Sonne. Ein ungewöhnlicher, frischer Blick auf scheinbar unspektakuläre Männer und ihre unspektakulären Probleme.

Die erste Erzählung, "Halte dich mannhaft", nimmt sich ein großes kalifornisches Thema vor: Basketball. Der Protagonist ist ein Junge, dessen Vater nicht den Sprung in die Profiliga geschafft hatte und deshalb aus seinem Sohn einen guten Spieler machen will. Der ganze Alltag dreht sich um Basketball, der Junge besucht die Schule, die der Förderung seines Sporttalentes zuträglich ist, hat kein Interesse an Mädchen und außerhalb der Mannschaft wohl auch keine Freunde. Zweihundert Sprungwürfe nach dem Abendessen, auf den Korb in der Einfahrt des elterlichen Hauses, sind sein tägliches Extraprogramm, auferlegt vom Vater, die Mutter verschafft ihm einen Job bei Walmart der Junge kann nicht viel entscheiden in seinem Leben und je mehr man gewahr wird, dass sein Basketballtrainer nicht viel vom Sport versteht, desto mehr dunkle Wolken sieht man am Horizont aufziehen. Doch Gavin lässt nicht einfach den Lebensplan des Jungen wie eine Seifenblase platzen, er lässt ihn in einem wichtigen Spiel zugrunde gehen und danach endlich befreit aufatmen. Da der Traum des Vaters nicht mehr erfüllt werden kann, erhält der Junge endlich die Möglichkeit seinen eigenen Weg zu gehen Scheitern ist nicht gleich Scheitern, es kann Neues eröffnen und dabei helfen sich selbst zu finden. Der scheinbare Versager hat viel für sich gewonnen.

Mittelmänner ist ein Zweiteiler, zeigt die Perspektiven von Vater und Sohn, vereint in ihrem ziellosen Dasein, welches ihnen übrigblieb, nachdem die Ehefrau und Mutter an Krebs gestorben war. Sie hatte lange Zeit die Qualen der Chemotherapie über sich ergehen lassen, war langsam gestorben, vor aller Augen, gut sichtbar. Sie hielt die gesamte Familie zusammen, dies wird klar, da ihre drei Kinder wieder ins Haus der Eltern ziehen, um ihrer Mutter die größtmögliche Unterstützung zu geben, nachdem sie von der Erkrankung erfahren haben. Der Vater ist Vertreter für Sanitäranlagen, ein einfacher Mann, der viel Zeit auf den Autobahnen Kaliforniens verbringt und gerne Dodgers-Spiele sieht. Nach dem Tod der Frau bringt er den Sohnemann in der Firma unter, versucht ihm dabei zu helfen wieder auf die Beine zu kommen, doch der Versuch scheitert, weil der Junge kein Verkäufer ist und sich nicht für Toiletten begeistern kann. Der Sohn hängt den Erinnerungen an seine Mutter nach, sie füllen ihn aus und lähmen ihn:

 

"Früher waren Matt ihre schrillen Kommentare von der Seitenlinie peinlich gewesen, aber jetzt, als Erwachsener, während er mit fremden Jungs im Zwielicht auf einem mit Unkraut überwucherten Platz spielte, hätte er gern irgendein fernes Echo ihrer Stimme gehört, die Stimme seiner Mutter, die für ihn kämpfte und an seine Sache glaubte. Was immer das auch sein mochte."

 

Dem Vater geht es nicht viel besser, meistens versteckt er sich in seinem Haus vor den Nachbarn oder den eigenen Kindern, guckt Nachrichten oder Baseball, dazu eine große Flasche Pepsi. Auch er denkt ständig an seine Frau, während er sein Leben stumpf und ohne Emotionen laufen lässt. Die Geschichten der beiden Männer erhalten viel Authentizität durch die Beschreibungen der Arbeit im Bereich der Sanitäranlagen, Gavin selbst war als Vertreter in dieser Branche unterwegs, mit Leichtigkeit schmückt er den Arbeitsalltag mit interessanten Zwischenfällen aus, weiß von Konkurrenz, Eitelkeit, Langeweile und Krisen zu berichten. Die Darstellungen sind einfach und überzeugend, Revolver, Hawaii-Hemden, Alkohol und Hypotheken dienen dem Autor, um die Vertreter-Szene und Einzelschicksale zu beleuchten, das Resultat ist gute Unterhaltung, die sich nicht herausputzen muss, sondern durch ihre Glanzlosigkeit besticht.

Auch die anderen Geschichten zeichnen sich durch Charakteren aus, die dem Leser leicht ans Herz wachsen. Oft sind es junge Männer, die Probleme haben einen Lebensstil zu finden, der sie zufrieden stellt, und sie suchen ihre Zuflucht zu Frauen, die erfolgreicher im Leben sind oder einfach nur stärker. Neben der Revision des kalifornischen und amerikanischen Traumes wird auch die Rolle des Mannes abgeglichen, Gavins Männer sind nicht reich und nicht schön, meist nicht sonderlich mannhaft, aber all diese "Makel" sind nicht wichtig, da sie viel gewichtigere Probleme plagen. Die Mittelmänner haben keine Zeit und Energie, um am Strand Klimmzüge zu machen oder mit dem Cabrio Mädchen aufzulesen, sie müssen ihre ganz eigenen Probleme lösen, mit sich selbst und mit den Menschen um sie herum.

Mittelmänner

Jim Gavin, Liebeskind

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