Alle Galgenlieder

  • Berlin: B. Cassirer, 1932, Seiten: 327, Originalsprache
  • Frankfurt: Edition Büchergilde, 2013, Seiten: 368, Originalsprache
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Britta Höhne
01001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2014

Vom Nasobēm zur Steinlaus

Büchergilde Bücher haben immer einen ganz besonderen Wert, wie der Verlag jetzt wieder beweist. Anlässlich des 100. Todestages des deutschen Dichters Christian Morgenstern hat die Edition Büchergilde einen neuen Sammelband der alten "Galgenlieder" vorgelegt. Und das besondere an diesem Buch: Hans Ticha hat es illustriert und so dem wohl weltbekannten unbekannten Nasobēm ein neues Antlitz verpasst. Es reicht wohl doch nicht aus, dass das Nasobēm weder im Brehm noch im Meyer oder Brockhaus zu finden ist. Oder besser zu finden war. Längst hat es Einzug gehalten in die Nachschlagewerke, wenngleich nur in der Form eines fingierten Artikels. Das Nasobēm erlangte aber noch einen ganz anderen Ruhm – als Vorlage für Loriots Steinlaus.

Wer an Christian Morgenstern denkt, hat vermutlich zunächst seine komische Lyrik im Kopf. Dabei war eben dieser Teil nur ein kleiner seines unermüdlichen Schaffensdrangs: Christian Otto Josef Wolfgang Morgenstern, so sein vollständiger Name, war Dichter, Schriftsteller, Übersetzer und oft zynischer Betrachter seiner Zeit. Vor 100 Jahren ist Morgenstern gestorben.

Geboren im Mai 1871 verbrachte Morgenstern seine ersten Jahre in München. Gemeinsam mit seiner Mutter Charlotte Morgenstern und seinem Vater Carl Ernst Morgenstern. Seinem berühmten Großvater – dem Maler Christian Morgenstern – verdankt der Enkel seinen Vornamen.

Christian Morgenstern war zehn Jahre alt, als seine Mutter an Tuberkulose starb. Wenig glückliche Jahre folgten. Zunächst bei einem Patenonkel in Hamburg, später ging er mit seinem Vater und dessen zweiter Frau nach Breslau, wo er das Gymnasium besuchte. Bereits mit 16 Jahren verfasste er erste Texte, darunter ein Trauerspiel. Viele Jahre Krankheit folgten – und Aufenthalte in Sanatorien.

Zu Lebzeiten schien es, als renne Morgenstern seinen Ideen hinterher. Er unterzeichnete Verträge zur Übersetzung von Werken Henrik Ibsens, obwohl er die norwegische Sprache nicht ausreichend beherrschte. Später reiste er durchs Land, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Auch mit der Dichtkunst ging es schleppend voran. Morgenstern sah sich als ernster Schreiber, als Beobachter und Wegweiser, was seine Leser nicht zu schätzen wussten. Vielmehr sind es seine humoristischen Wortschätze, die noch immer begeistern, wenngleich viele Kritiker in Morgensterns Texten weniger eine Sprachkunst entdeckten, als viel mehr Nonsens.

Legendär sind seine Zeilen:

 

Das Nasobēm

Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobēm,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.

Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.

Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobēm.

 

Schön und schön zynisch sind auch die sechs Zeilen mit der Überschrift: "Die beiden Esel"

 

Ein finstrer Esel sprach einmal
zu seinem ehlichen Gemahl:

"Ich bin so dumm, du bist so dumm,
wir wollen sterben gehen, kumm!"

Doch wie es kommt so öfter eben:
Die beiden blieben fröhlich leben.

 

Egal, was der Dichter zu Papier brachte, am Ende war es komisch. Dabei ist, laut Morgenstern im Vorwort, "die Galgenpoesie ein Stück Weltanschauung. Es ist die skrupellose Freiheit des Ausgeschalteten, Entmaterialisierten, die sich in ihr ausspricht".

Die Galgenlieder wurden 1895 zunächst im kleinen privaten Freundeskreis, dem Bund der "Galgenbrüder", bei Ausflügen zum Galgenberg in Werder bei Potsdam vorgetragen. Eine Gruppe Freunde traf sich in Kneipen, zelebrierte auf ironische Weise schön-schaurige Rituale und sang Morgensterns dazu verfasste Galgenlieder. Erst 1905 erschienen sie in Buchform und bildeten ein Fundament für die Sprachkunst und den Ruhm Morgensterns.

Die Büchergilde hat den Band komplettiert, indem sie den Galgenliedern Palmström, Palma Kunkel, den Gingganz, vier Legendchen und Zeitgedichte zur Seite stellte. Ein großartiger Band, der alles wieder gibt, was Christian Morgenstern ausmacht, illustriert von einem Künstler, der sich nicht davon hat abschrecken lassen, nicht der erste zu sein, der Morgensterns Zeilen ein Aussehen gibt. Hans Ticha hat großartige Arbeit geleistet. Nicht nur beim Nasobēm. Chapeau.

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