Kashgar oder mit dem Fahrrad durch die Wüste

  • Berlin: Bloomsbury Berlin, 2012, Seiten: 464, Übersetzt: Ulrike Thiesmeyer
  • Berlin: Berlin Verlag, 2013, Seiten: 464, Übersetzt: Ulrike Thiesmeyer
Kashgar oder mit dem Fahrrad durch die Wüste
Kashgar oder mit dem Fahrrad durch die Wüste
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Kathrin Plett
751001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2014

Suchen und finden zwischen Vergangenheit und Gegenwart

1923, drei Frauen haben einen Traum: Frei und unabhängig, nur mit dem Fahrrad unterwegs eine neue Landschaft erkunden. Klingt spannend, doch wenn es sich bei der unbekannten Landschaft um eine Wüste in der Region Nordwestchinas handelt, lässt sich schnell erahnen, dass die Reise in dieser Gegend alles andere als einfach war. Abgesehen von klimatischen Bedingungen sind es vor allem kulturelle Differenzen, die gefährlich werden können. Viele Jahre später findet Frieda im heutigen London ein Tagebuch, dass von genau dieser Reise erzählt und findet heraus, dass es sie ohne diese Reise gar nicht gäbe...

Noch weiß Frieda nicht, wer Irene Guy war, warum sie ihr eine schlechtgelaunten Eule, ein paar alte Möbel und ein Notizbuch hinterlassen hat. Doch die Aufzeichnungen einer jungen Frau, die vor fast hundert Jahren aufgebrochen ist, um weit fort ein freies Leben zu führen, enthalten auch Antworten auf Fragen, die Frieda schon lange umtreiben. Wild und zart zugleich: Dieser Roman erzählt die Geschichte zweier junger Engländerinnen, die sich 1923 nach Kashgar an der alten Seidenstraße aufmachten. Während Lizzie sich ganz der Missionsarbeit widmet, ergreift ihre Schwester Eva die Gelegenheit dem bürgerlichen Leben zu Hause zu entkommen. Ihr Traum ist es auf dem Fahrrad die Wüste zu entdecken und darüber zu schreiben. Zugleich ist Kashgar oder mit dem Fahrrad durch die Wüste die Geschichte zweier Menschen im heutigen London. Frieda, die ständig unterwegs ist, die wie eine Fremde für ein paar Tage im Jahr ihre Londoner Wohnung besucht, trifft eines Morgens vor ihrer Tür auf Tayed. Und weil beide niemand haben, den sie in diesem Moment vertrauen können, aber des anderen Hilfe brauchen, berühren sich für kurze Zeit ihrer beider Leben. "Aufsteigen und fahren" - ist die erste Regel für Fahrradanfänger.

Suzanne Joinson, geboren 1974, lebt mit ihrer Familie in Sussex, England. Sie studierte Creative Writing an der Goldsmith University und arbeitet für den British Council. Dort organisiert sie internationale Literaturprojekte, unter anderem im Mittleren Osten, Nordafrika und China. Kashgar oder mit dem Fahrrad durch die Wüste ist ihr erster Roman.

Kashgar oder mit dem Fahrrad durch die Wüste erzählt die Geschichte zweier Frauen, die ohne es zu wissen eng miteinander verbunden sind. Frieda lebt im London der Gegenwart, aufgewachsen beim Vater, nachdem die Mutter die Familie für das Leben in einer religiös-fanatischen Kommune verlassen hat. Frieda lebt nach dem Motto: "Du bist ein Freigeist, Frie'. Du kommst und gehst." Stets auf Reisen hat sie ihr Gleichgewicht zwischen Freiheit und Intimität scheinbar gefunden, nach langer Reise kann sie zu Nathaniel, einem verheirateten Mann zurückkehren, seine Leidenschaft spüren um anschließend wieder ihre eigene Ungebundenheit zu genießen. Die andere Frau, Eva, machte sich 1923 mit ihrer Schwester und einer übereifrigen Missionarin, die um andere Menschen zu bekehren auch vor fragwürdigen Mitteln nicht zurückschreckt, nach Kashgar auf. Als dort in ihrer Gegenwart ein junges Mädchen bei der Geburt ihrer Tochter stirbt und sie das Baby bei sich aufnehmen, stoßen sie bei den Einheimischen auf Ablehnung, die sich gemischt mit den Bekehrungsversuchen zu einer großen Gefahr entwickeln. Joinson berichtet in ihrem Roman abwechselnd von Eva in der Vergangenheit und Frieda in der Gegenwart, was sich durch unterschiedliche Kapitelanfänge erkennen lässt - jeder Kapitelbeginn von Frieda ist mit einer Feder illustriert, bei Eva fangen die Kapitel mit einer theoretischen Anleitung zum Fahrrad fahren an. Zudem wechselt auch die Perspektive, Friedas Kapitel sind in der dritten Person verfasst, wohingegen Evas Kapitel als Tagebucheinträge aus ihrer Sicht geschrieben sind. Auf diese Weise bleibt der Roman trotz der vielen Wechsel übersichtlich. Besonders die Tagebucheinträge ermöglichen tiefe Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonistin, so dass es leicht fällt, sich in die Figuren hineinzuversetzen. Joinson schafft es, die Neugier des Lesers auf den weiteren Roman zu wecken, vor allem, da dass Ende bis zum Schluss offen bleibt und sich nur schwer erahnen lässt, wie die Figuren miteinander in Beziehung stehen und wie die beiden Geschichten zu einer verschmelzen können. Auf diese Weise erhält der Roman zusätzlich Tiefe, die ihn auch bei über 450 Seiten nicht langweilig werden lässt.

Alles in allem ist Suzanne Joinson mit Kashgar oder mit dem Fahrrad durch die Wüste ein gelungenes Debüt gelungen, das durch seine Kulisse und seine Spannungskurve, die bis zum Ende aufrecht erhalten wird, besticht. Ein lesenswerter Roman!

Kashgar oder mit dem Fahrrad durch die Wüste

Suzanne Joinson, Bloomsbury Berlin

Kashgar oder mit dem Fahrrad durch die Wüste

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