Glückskind

  • Zürich: Secession-Verlag, 2012, Seiten: 260, Originalsprache
  • München: btb, 2014, Seiten: 288, Originalsprache
Glückskind
Glückskind
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Britta Höhne
901001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2014

Zwei winzige Bröckchen im Universum

Nein, so gut ist kein Mensch, dass er ins Gefängnis geht, freiwillig, um einen anderen Menschen zu retten. Einen Menschen zudem, eine Frau um genau zu sein, die herzlos ist, keine Gefühle zeigt und der die Liebe abhanden gekommen ist. Hans zeigt sich enttäuscht von Veronika, die ihr nur wenige Monate altes Mädchen in den Müllcontainer legt – oder auch wirft – weil sie vom Leben überfordert ist. Wie Hans D. eigentlich auch: Obdachlos mit Dach über dem Kopf, verlassen von Frau und Kindern. Baby Felizia, oder Chiara, hat ihn zurück geschupst, ins Leben – mit einer komplizierten Lebenslüge.

Steven Uhly ist mit Glückskind ein ganz wunderbarer Roman gelungen, eine Mischung aus Sozialreportage und Märchen, aus Zeitungsschlagzeile und Bericht der Mut macht, sein Leben nicht ungelebt an den Nagel zu hängen. "Glückskind" kommt voller Witz daher, voller Ironie und Situationskomik, aber auch mit tiefer Traurigkeit und der Angst, verlassen zu werden, verlassen zu sein. 2012 schon brachte der deutsch-bengalische Autor sein Glückskind auf den Markt und eigentlich darf ein jeder gespannt sein, ob der Verfasser, der mit seiner Familie in München lebt, eine Fortsetzung anknüpft. Denn: Irgendwann, nach vielen Tränen, Gedanken und Geschichten, treffen sich Hans und die zu Beginn der Geschichte inhaftierte Raben-Mutter Veronika wieder. In dem kleinen Lotto-Toto-Geschäft von Herrn Wenzel, das längst Hans gehört. Zwei Augenpaare treffen sich: Diese Geschichte allerdings kann noch nicht erzählt werden, weil sie noch nicht geschehen ist. So das Ende. Ein offenes, was in diesem Fall nicht weiter stört, da die erste Geschichte, Hans' Begegnung mit dem kleinen Mädchen, zu einem guten Ende geführt hat: Das Mädchen lebt.

Zum Anfang: Eine junge Mutter mit gleich mehreren Kindern, einem Säugling, der Kindsvater verschwindet. Verlässt die verzweifelte Frau, die nicht mehr weiß, wie sie ihr Leben meistern soll. Hans, verloren, verwahrlost, Hartz-IV-Empfänger und von seiner Familie verlassen, findet das Kind, als er sich auf den Weg zum Müllcontainer begibt, um sich der Altlasten zu entledigen. Zumindest der Materiellen. Beim Anblick des Kindes denkt er an eine Puppe. Doch die Puppe lebt und der schmuddelige Hans nimmt das Kind bei sich auf. Sagt, es sei sein Enkel.

Lange kann er nicht verheimlichen, das Felizia, so nennt Hans das Mädchen, nicht sein eigen Fleisch und Blut ist. Er erzählt schließlich den Tarsis und Herrn Wenzel vom Lotto-Toto-Geschäft seine Geschichte und stößt auf mehr Verständnis, als er aushalten kann. Nachbarn werden Freunde und der Laden-Besitzer von gegenüber proklamiert die Position des Zweitopas für sich. Er zahlt sogar dafür, weil es auch in seinem Leben niemanden mehr gibt.

Uhly beschreibt den Konflikt des alten Mannes, der beim Anblick des Babys immer auch an seine Kinder denkt, nicht pathetisch, nicht kitschig überzogen. Eher sachlich, wie ein Beobachter am Rande beleuchtet Uhly den Alltag von Mann und Kind. Beschreibt wie Hans beginnt seine Wohnung, sein Leben vom angesammelten Unrat zu befreien. Er beschreibt den inneren Konflikt  den Hans durchlebt,wissend dass er eigentlich zur Polizei gehen müsste. Felizia indes macht, was alle Säuglinge machen: Essen, die Windeln voll, Schreien, Schlafen und sich zunehmend für Hans interessieren. Das Baby baut eine Verbindung auf, eine, die Hans mit Glück und vielen Fragen zur Kenntnis nimmt.

Rückblenden lassen immer wieder zu, in das Leben des Hans' zu blicken, der seine Frau mit der Nachbarin betrog, der nicht arbeiten ging, zu Hause blieb und die Kinder versorgte. Offen wird gelegt, wie normal und farblos das Leben des Hans D. verlief. Bis die Frau ging und die Kinder mitnahm. Hans´ Altruismus Felizia gegenüber rührt wohl eher daher, dass er meint, bei seinen eigenen Kindern versagt zu haben.

Glückskind beschreibt den Weg eines Menschen zurück zu sich selbst. Manchmal passiert es Uhly, dass er Sprüche bringt, wie sie auch Hera Lind oder Susanne Fröhlich zu Papier bringen. Sätze etwa wie: "Ich leide, also lebe ich." Oder auch: "Was ist zuerst da, die Vision oder die Angst?" Schön ist auch: "Lieber vom Staat abhängig sein als von einer Frau." Bei Lind und Fröhlich würde lediglich Frau durch Mann ausgetauscht werden. Was aber bei Uhly so trivial-kitschig daherkommt passt genau zu Hans. Hans ist ein Mann der so denkt. Ganz sanft scheint er zu sein, ein harmloser Träumer, der lieber die Augen schließt, als sein Bild im Spiegel ertragen zu müssen. Uhlys Figuren sind durch und durch homogen. Alles passt zusammen, bei Hans, Herrn Wenzel und bei den Tarsis, die in dieser Konstellation eine ganz besondere Rolle einnehmen. Hans, der Angst hat vor Fremden und vor Ausländern noch mehr, weil sie noch fremder als fremd sind. Als Hans sich jedoch mit seinen Nachbar anfreundet, stellt er fest, dass auch sie Menschen sind. Menschen mit Ängsten und Nöten. Menschen mit einem anderen, sehr netten Gott, wie Hans scheint.

Zum Ende der Geschichte sind die Dinge neu geordnet. Hans besucht die Mutter des Kindes im Gefängnis und wandert dann selbst hinter Gitter. Das Ende kommt rasch, aber nicht unverhofft. Unverblümt dafür, ohne zu viele Gedanken. Am Ende jedoch wird alles gut. Hans ist wieder bei sich selbst und hat auf dem Weg dahin viele Menschen mitnehmen können. Ein schöner Ausgang, der für die Realität auch häufiger zu wünschen wäre.

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