Je länger, je lieber

  • München: C. Bertelsmann, 2013, Seiten: 352, Originalsprache
Je länger, je lieber
Je länger, je lieber
Wertung wird geladen
Rita Dell'Agnese
801001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2014

... denn wie findet uns die Liebe?

Liebesgeschichte! Für viele Leserinnen und Leser ein Reizwort. Denn Liebesgeschichte heißt oft, viel Gefühl – zu viel Gefühl. Anders bei Alexa Henning von Langes Roman Je länger, je lieber. Die Autorin beweist, dass eine Liebesgeschichte auch in die Tiefe gehen kann, ohne in weichgespülten Gefühlen zu ertrinken. Und das, obwohl der Aufbau des Romans auf den ersten Blick genau das befürchten lässt: ein fast schon kitschiges Familiengeheimnis, das sich als eine mehr oder weniger banale Liebesgeschichte entpuppt. Alexa Henning von Lange baut ihren Roman auf dem klassischen Großmutter-Enkelinnen-Bild auf. Mimi hat in ihrem Leben immer dann Halt bei ihrer Großmutter Clara gefunden, wenn sie ihn dringend gebraucht hat. So ist es nichts als selbstverständlich, dass Mimi verstört zu ihrer Großmutter zieht, als sie erkennen muss, dass ihr Mann sie betrügt. Doch anstatt sich von der bald Hundertjährigen in ihrem Kummer trösten lassen zu können, trifft Mimi auf eine verwirrte alte Frau, die in Gedanken zu Menschen zurück gekehrt scheint, von denen ihre Enkelin noch nie etwas gehört hat. Die wichtigste Verbindung zu diesen Menschen stellt ein alter Kompass dar. Ihrer Großmutter zutiefst verbunden, macht sich Mimi daran, diese Geschichte zu erforschen. Sie stößt dabei auf eine Liebe, die sowohl unerfüllt, als auch unverbrüchlich scheint. Je mehr die Enkelin erfährt, desto stärker verändert sich das Bild, das sie sich bisher von ihrer Großmutter gemacht hatte.

Obwohl das Großmutter-Enkelin-Thema schon stark ausgereizt ist, schafft es Alexa Henning von Lange, ihm neue Facetten zu entlocken. Denn sie streut einen Aspekt ein, der eine ganz andere Seite des Themas beleuchtet: Die Veränderung der Großmutter, die eine ebenso große Rolle spielt, wie die Erkenntnis der Enkeltochter, dass Clara ein Leben vor der Familie hatte – und ihr Leben lang mit Gefühlen zu einem Mann zu kämpfen hatte, von denen niemand etwas ahnte. Das kommt hier sehr schön zur Geltung. Denn Mimi wird hin und her gerissen zwischen ihrer eigenen Gefühlswelt und der Erkenntnis, dass gerade da, wo sie glaube, sich auf sicherem Terrain zu bewegen, nichts so ist, wie sie es bisher geglaubt hat. So muss Mimi mit ganz verschiedenen Gefühlen klar kommen – am meisten aber damit, dass sie an vertrauter Stelle keinen Halt mehr findet und deshalb ganz auf sich selber zurückgeworfen ist. Dank der feinfühligen Art der Autorin kommt dieser Aspekt gut zur Geltung und macht das an sich ausgeleierte Grundthema zum idealen Boden für die eigentliche Geschichte: Die Geschichte von Clara und Jacques, die für einander bestimmt scheinen, doch vom Schicksal in ganz unterschiedliche Richtungen gedrängt werden. Nun könnte leicht der Eindruck entstehen, dass hier ein Konstrukt entsteht, das da und dort bemüht wirkt. Doch Alexa Henning von Lange umschifft diese Klippen geschickt. Es sind weder zu Recht gebogene Zufälle noch andere unglaubwürdige Stellen, die der Geschichte ihren Stempel aufprägen – vielmehr sind es Ereignisse, die so schlüssig sind, dass sie ein ganzes, rundes Bild ergeben, das der Leser glauben mag oder zumindest nachvollziehen kann.

Interessant ist auch die Zeitspanne, die die Geschichte umfasst. Immerhin geht die Autorin in die Kindheit der nun Hundertjährigen zurück und bringt so – quasi nebenbei – die Entwicklung des 20. Jahrhunderts ins Spiel. Es geschieht jedoch auf eine so sanfte Art, dass das eigentliche Thema dadurch lediglich unterstrichen und nicht konkurrenziert wird. Zudem versteht es die Autorin, ihre Sprache geschickt einzusetzen und den Lesern eine kompakte, temporeiche und gut formulierte Geschichte vorzusetzen. An sich also ein absolut gelungener Roman, der viel Lesegenuss zu bieten hat. Bedauerlicherweise macht Alexa Henning von Lange jedoch einige Abstriche bei der Protagonistin Mimi. Sie bleibt – besonders bei der Gegenüberstellung mit ihrer Großmutter Clara – farblos und vorhersehbar. Zwar wird das durch den verhältnismäßig starken Plot abgemildert, doch ist es einer der wenigen Schönheitsfehler in dieser Liebesgeschichte.

Je länger, je lieber ist mehr als nur ein Unterhaltungsroman. Es ist eine Geschichte, die sich ganz langsam tiefer in das Bewusstsein hinein arbeitet und auch noch nachwirkt, wenn die letzten Worte gelesen sind und das Buch längst aus der Hand gelegt ist.

Je länger, je lieber

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Je länger, je lieber«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Film & Kino:
The Crown - Staffel 3

Die Queen in ihrer vordergründig repräsentativen Rolle ist eine zeitgeschichtliche Ikone, sodass der Erfolg der seit 2016 bei Netflix laufenden Serie „The Crown“ nicht verwundert. Die dritte Staffel markiert allerdings einen Umbruch: Die Royal Family ist in den 60er-Jahren angekommen und viele Rollen werden neu besetzt, da auch die Blaublüter nicht vor dem Altern gefeit sind. Titel-Motiv: © Des Willie / Netflix

zur Film-Kritik