Album Calvino

  • Frankfurt: Fischer Taschenbuch, 2013, Seiten: 368, Übersetzt: Andreas Löhrer, Bemerkung: Luca Baranelli (Herausgeber), Ernesto Ferrero (Herausgeber), Italo Calvino (Autor)
  • Rom: Mondadori, 2003, Titel: 'Album Calvino', Originalsprache
Album Calvino
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Sebastian Riemann
751001

Belletristik-Couch Rezension vonNov 2013

Ein analytischer Blick auf Italien und das Leben

Italo Calvino war ein sorgfältiger Beobachter seiner Umwelt und ein Schriftsteller, der an Präzision kaum überboten werden kann. Ein Perfektionist, bemüht der Sprache alles abzuringen, damit sie größtmögliche Übereinstimmung erreichen kann mit dem, was sie abbilden will. Calvino war nie ein Bestseller-Autor, wurde aber hoch geschätzt in der internationalen Gemeinschaft und hatte großen Einfluss auf die Entwicklung der italienischen Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das nun ins Deutsche übersetzte Album Calvino zeigt den ungewöhnlichen und hierzulande größtenteils unbekannten Schriftsteller anhand zahlreicher Fotografien, Briefe, veröffentlichter und unveröffentlichter Texte. Ergänzt werden die Dokumente durch die Kommentare der Herausgeber Luca Baranelli und Ernesto Ferrero, die mit Calvino im Verlag Einaudi arbeiteten und sich zu seinen Freunden zählen dürften. Am 15. Oktober wäre er 90 Jahre alt geworden, das Album zollt seinem Lebenswerk Tribut.

Durch die verschiedenen Epochen des Lebens führt das Buch und verdeutlicht wie sich Calvino entlang der großen Fragen seines Landes entwickelt. Die Aufzeichnungen aus seiner Jugend zeigen einen ambitionierten, energiegeladenen Mann, der sich den marxistischen Grundwerten verpflichtet fühlt, vom Idealismus getrieben wird. Mit den geschichtlichen Ereignissen entfernt er sich jedoch zunehmend von politischen Strukturen und wendet sich mehr den Künsten zu. Fortan wird er weiterhin das Zeitgeschehen beobachten und dokumentieren, jedoch lässt er davon ab sich selbst ins Getümmel zu stürzen. Er entdeckt seine Liebe zum Film und beginnt humoristische Zeichnungen anzufertigen, bald folgt die Arbeit im Verlag und seine Beziehung zur italienischen Sprache nimmt an Fahrt auf.

Die verschiedenen Texte lassen deutlich werden, wie Zeitgeschehen und die Entwicklung des Schriftstellers einhergehen, aber stets bleibt dem Leser ein essentieller Teil Calvinos verwehrt. Persönliches findet sich nicht wieder, weder in publizierten Texten, noch in privaten Aufzeichnungen, das Innenleben des Autors scheint ein weißer Fleck zu bleiben. Eine Erklärung hierfür liefert das Buch in der Episode vom Tagebuch eines Kollegen und Freundes Calvinos, der gesteht ein solches Buch zu führen, um darin seine Gedanken und Emotionen festzuhalten. Calvino ist überrascht, ja nahezu entsetzt. Er selbst kann sich derartiges nicht vorstellen, es scheint ihm überflüssig und albern. Die Suche nach dem Menschen hinter dem Schriftsteller bleibt für den Leser jedoch nicht völlig erfolglos. Calvinos Charakter zeigt sich mitunter unerwartet, so zum Beispiel bei seinem Lob für die Turiner und ihre Tugenden. An ihnen mag er:

 

"...das Fehlen romantischer Wallungen, das Vertrauen vor allem auf die eigene Arbeit, ein angeborenes sprödes Mißtrauen, dazu das sichere Gefühl, an der weiten sich regenden Welt teilzuhaben und nicht an der abgeschossenen Provinz, die Lust an einem durch Ironie gezügelten Leben, die klärende und rationale Intelligenz."

 

Calvino ist kein typischer Vertreter seiner Zeit, er schreibt nicht über das eigene Erleben, das Ich ist nicht der Herrscher der Welt, sonder eine höchst fragwürdige Instanz. So gibt er sich nicht hin, lässt sich nicht treiben von der innerlichen Sinneswelt, um sie dann Schrift geworden auf den Rest der Welt zu werfen. Vielmehr fordert er Rechenschaft.

 

"Mir dagegen scheint, daß meine Angelegenheiten nicht von Interesse für andere sein können. Was ich schreibe, muß ich mit etwas rechtfertigen, auch vor mir selbst, was nicht individuell ist."

 

Das Album Calvino ist ein erstklassiges Zeugnis seiner Zeit, gibt viele Einblicke in den Literaturbetrieb Italiens, weiß aber auch von internationalen Größen wie Hemingway zu berichten, mit welchen Calvino Kontakt hatte. Die Kunst des Schriftstellers wird deutlich, sein geistiger Hintergrund beleuchtet, sein Stil erläutert, nur die persönliche Seite bleibt schemenhaft, aber dies war wohl stets so gedacht. Italo Calvino wollte etwas hinterlassen, was über ihn und seine Zeit hinaus Bestand hat. Er nahm die Welt mit wachen Augen auf, wälzte sie in seinem Kopf hin und her, um ihr dann etwas geben zu können, was sie bereichert. Auf dem Buchcover begegnet dem Leser der leicht entrückte Blick Calvinos, der ahnen lässt, wie angestrengt der dahinter liegende Geist arbeitet.

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