Die Sonnenposition

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Berlin: Suhrkamp, 2012, Seiten: 337, Originalsprache
Die Sonnenposition
Die Sonnenposition
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Britta Höhne
931001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2013

Im Raum steht die Forderung glücklich zu sein

Beim Lesen mancher Romane, stellt sich mit Verwunderung die Frage: Spreche ich selbst eigentlich Deutsch? Ist es nicht viel mehr ein verarmtes Irgendwas, ohne Sinn, Inhalt, Kreativität? Verkrüppelte Kommunikation? Begrenzt auf Kurznachrichten, Sprache kompensiert in nur wenigen Zeichen und Bildern ;-)? Marion Poschmann legt vor, was Sprache sein kann. In ihrem wunderbar kreativ, bunt und lyrisch verfasstem Roman "Die Sonnenposition", der es zu Recht auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat.

Die besten Geschichten heisst es, lassen sich in nur wenigen Sätzen erklären. Das geht bei Poschmann auch – zumindest, was die Rahmenhandlung anbelangt. Drei Personen stehen im Mittelpunkt: Der dickliche Irrenarzt Altfried Janich, sein forschender Freund, Muttersohn und Biologe mit Schwerpunkt Bioluminiszenzen Odilo, der bereits zu Beginn des Romans sein Leben lassen muss, sich aber weigert, das Geschehen zu verlassen. Dann ist da noch Janichs Schwester Mila, die als Designerin arbeitet und einstmals wohl so etwas wie Odilos Geliebte, oder Freundin, oder Romanze war. Alles sehr mysteriös zumindest.

Den rundliche gar nicht fröhlichen Rheinländer Altfried Janich, rothaarig, blass- und dünnhäutig, zieht es nach der Wiedervereinigung gen Osten. Dort bezieht er ein feuchtes Zimmer in einem alten, maroden Barockschloss, in dem eine psychiatrische Klinik untergebracht ist. Der Kühlschrank, der zu seinem Equipment gehört, steht vor der Zimmertür, die Fenster sind zugig alt und doppelt und taugen lediglich dazu, in deren Mitte ein Glas Apfelmus zu kühlen.

Janich arrangiert sich, lebt sein Leben inmitten von verrückten Menschen, von Frauen, die Babys auf dem Klo gebären und sie danach tiefkühlen, von Männern, die Fischstäbchen im anstaltseigenen Teich die Freiheit zurück geben. An manchen Tagen ist Janich sich nicht sicher, weiß nicht, auf welcher Seite der Anstaltsbewohner er steht: Auf der der psychisch Kranken, oder auf der der Helfer und Heiler.

Odilo, zu Tode gekommen bei einem seltsamen Unfall, ist ihm in dieser Frage nicht behilflich. Er kümmert sich in seinem fensterlosen Institutslabor um Mäuse – bringt sie zum Leuchten und zerquetscht sie anschließend versehentlich mit seiner großen, gepflegten zwar, aber überaus behaarten Hand. Gemeinsam betreiben die beiden Männer ein Hobby, sie sind auf der Jagd nach dem Erlkönig. Wer ein Lebewesen vermutet liegt falsch. Auch mit Goethe hat das nichts zu tun. Als Erlkönige werden Auto-Prototypen bezeichnet, die heimlich, getarnt von den Autoherstellern auf der Straße Probe gefahren werden.

Mila, Janichs Schwester, ist eine schöne Frau. Kreativ und stark im Charakter. Eigentlich. Was sie allerdings zu diesem verschrobenen Odilo aufblicken lässt, bleibt einmal dahin gestellt. Die Liebesgeschichte zumindest fügt sich gut in den ganzen Komplex der gestörten Seelen ein.

Marion Poschmann ist etwas ganz wunderbares gelungen: Sie berichtet auf nur wenigen etwas über 330 Seiten generationsübergreifend. Sie erzählt die tragische Geschichte der Großeltern, die einst ihre schlesische Heimat verlassen mussten. Analysiert, warum sie sind was sie sind. Dabei wertet die 1969 in Essen geborene Autorin nicht, sie beschreibt einfach und das in einer derart phantastischen Art und Weise, dass jeder Satz zur Überschrift taugt. Sie schafft die Ausdrucksform neu und das mit einer Wucht, die wohl jeden Leser verblassen lässt. Egal worüber sie berichtet, über Farbbezeichnungen von Autos etwa:

 

"Ich irrte zwischen den tabernakelhaft verschlossenen Wagen umher, zwischen den Blenderbergen aus Alaskablau und Balticblau, aus Baikal und metallic und Persischblau, Pasadenablau, Labradorblau, glitt durch Polarweiß und Polizeiweiß und Candyweiß, Alpinweiß und Firnweiß, durch ersten Tönungen von Nachtschwarz, Traumschwarz, …"

 

Nein, zu Ende ist Poschmann an dieser Stelle noch nicht mit ihrer Auflistung. Sie weiß Worte zu benutzen, mit ihnen fremd zu gehen, sie zu missbrauchen, aus einem Kontext zu reißen und völlig neu wieder einzusetzen. Wer kommt schon auf die Idee, Kapitel nach Tapetenarten zu benennen, um so die Startionen eines Lebens zu skizzieren: Rauhfastertapete (natürlich zur Studentenzeit), Historische Makulaturtapete, Waschbare Fondtapete mit bläulichen Streublumen, Korktapete, Plastik-Quetschdruck-Tapete, Japanische Grastapete: In diesem Raum stand die Forderung glücklich zu sein. Ähnlich präzise über Tapeten ausgelassen hat sich im Buchweltmarkt lediglich die US-amerikanische Autorin Charlotte Perkins Gilman in ihrem kurzen Roman Die gelbe Tapete. Auch hier dreht es sich um das Verrückt sein, darum, nicht mehr der Norm zu entsprechen. Nur, welcher Norm eigentlich?

Wenn jemand auf die Shortlist gehört, dann Marion Poschmann: Ihr Roman bedrückt, entrückt und lockt Glücksmomente hervor. Dann etwa, wenn der dicklich, blasse Psychiater sein Auto tarnt, um nicht erlaubte Straßen zu benutzen – auf der friedlichen Jagd nach dem Erlkönig. Der, so ist es Poschmann zu zutrauen, in ihrem Roman natürlich symbolisch ist. Ob er für Goethes Erlkönig steht, oder als Synonym zur geheimen Erprobung eines neuen Autotyps herhalten muss, spielt dabei keine Rolle. Poschmann hat alles bedacht in ihrer Darstellung von Wahn und Wirklichkeit.

Was bleibt zu sagen? Lesen. Einfach lesen und sich der Geschichte und der Sprache erfreuen. Der deutsche Buchpreis sollte ihrer sein.

Die Sonnenposition

Marion Poschmann, Suhrkamp

Die Sonnenposition

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