Die gelbe Tapete

  • München: Verlag Frauenoffensive, 1978, Seiten: 58, Übersetzt: Gerlinde Kowitzke, Bemerkung: Nachwort von Elaine R. Hedges
  • Wien: Braumüller Literaturverlag, 2011, Seiten: 64
  • New York: The Feminist Press, 1973, Titel: 'The yellow wallpaper', Originalsprache, Bemerkung: Afterword by Elaine R. Hedges.
Die gelbe Tapete
Die gelbe Tapete
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Britta Höhne
901001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2013

Praktisch bis zum Extrem

Schriftsteller schreiben, um zu verwirren. Zumindest, um aus dem Alltag zu entlassen. Der US-amerikanischen Schriftstellerin Charlotte Perkins Gilman zumindest wurde nachgesagt, dass sie mit ihrer viel zu kurzen Geschichte Die gelbe Tapete, verwirren, irre machen wollte. Dabei war ihr Anliegen - zu helfen, wie sie nach Erscheinen ihrer kurzen Lektüre erzählte. Keinem sollte passieren, was ihr passiert ist. Sich aus dem Leben zu verabschieden, weil andere es sagen. Nicht mehr dabei zu sein, weil andere es sagen. Zu ruhen, auch weil andere es sagen. Leben, so Gilman, ist Leben und Leiden und dabei sein. Dann – und zwar nur dann - gelingt auch die Genesung.

52 Seiten nur dauert die Geschichte. Aber sie ist schön. Sehr schön sogar. Wenngleich sie nur eine Tapete bespricht. Eine gelbe. Eine, die sich offensichtlich bewegt. Die Erzählerin, die laut Diagnose ihres Mannes krank zu sein scheint, schließt sich selber weg. Schmeißt den Schlüssel aus dem schlossähnlichen Gebäude in den Park. Sperrt sich ein, die Welt aus, nur um zu erleben, was eine gelbe, unansehnlich abgekratzte Tapete mit ihr macht. Am Ende verrückt zumindest. Und verloren.

Zurück zum Anfang: Ein Paar aus der Stadt, mit Baby und Kinderfrau, mietet sich ein Haus auf dem Land. Für ein paar Monate nur, bis das heimische Domizil renoviert ist. Das Haus auf dem Land macht Angst. Groß ist es, verwohnt, mit einem offensichtlich ausgedientem Spielzimmer, dessen Kinderlärm noch nachhallt. Mindestens in den Ohren der Protagonistin, die Stimmen im Kopf hat und welche im Herzen. Ihr Mann John, hochangesehener Arzt, hält alles fern von seiner Frau, damit sie in der Ruhe genesen kann. Dabei ist sie gar nicht wirklich krank, John versichert,

 

"daß einem in Wahrheit nichts fehlt, abgesehen von einer momentanen nervlich bedingten Depression – einer leichten hysterischen Neigung?"

 

Als habe Perkins Gilman es schon 1881, als ihr Roman erschien, gewusst: Jedes Unwohlsein lasse sich mit Depression belegen, heute hieße es vielleicht Burn-out, und ist überaus praktisch, weil in keiner Form nachweisbar. Dabei möchte die junge, weg gesperrte Frau nur eines: Ein wenig schreiben, ihren Kopf benutzen, etwas arbeiten. Doch John kapselt sie ab, er ist "praktisch bis zum Extrem" und merkt dabei nicht, dass seine Frau der "Norm" entrückt. Verrückt wird, in ihrer ganz eigenen Art.

Dabei begeistert selten die Beschreibung einer toten Materie, wie eben die der Tapete, in Perkins Gilmans Kurzroman. Das verblasste Wandpapier wirkt lebendig, erwacht zum Leben, selbst wenn offensichtlich unzählige kleine Kinderhände daran herumgepult haben. Die Protagonistin sagt selbst, sie habe in ihrem ganzen Leben keine scheußlichere Tapete gesehen,

 

"mit einem dieser wuchernden, flammenzungenähnlichen Muster, die keine künstlerische Sünde auslassen"

 

Augen verirren sich in den Streifen, dennoch verwirren sie und provozieren zum Hinschauen.

 

"... und ist es einem dann gelungen, den schwunglosen, unsicheren Kurven über eine kurze Strecke zu folgen, so begehen sie plötzlich Selbstmord – stürzen ab in unmöglichen Winkeln und zerstören sich selbst in nie gesehenen, sich gegenseitig aufhebenden Windungen."

 

Charlotte Perkins Gilman provoziert in einer Zeit, in der Frauen nicht zu provozieren hatten. Schon wer sich die Vita der US-amerikanischen Autorin ansieht, versteht vielleicht ein Stück weit ihr kurzes Prosastück Die gelbe Tapete. Ihre eigene Tochter überließ sie ihrem Mann und dessen späteren Frau. Charlotte Perkins Gilman ließ sich scheiden, heiratete ihren Cousin und schien noch einmal von vorne beginnen zu wollen. Ihr eigenes Buch allerdings konnte sie nicht retten: Charlotte Perkins Gilman nahm sich 1935 das Leben, indem sie Chloroform inhalierte. Verwirrt, verirrt in all den Aufs und Abs des Lebens.

Ein ganz leises, lautes Buch.

Die gelbe Tapete

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