Das fremde Meer

  • Berlin: Berlin Verlag, 2013, Seiten: 567, Originalsprache
Das fremde Meer
Das fremde Meer
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Kathrin Plett
941001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2013

Liebe(n) mit offenem Ende

Liebe: Ein Gefühl, das in der Lage ist, Menschen zu verändern. Das alte Leben vollkommen auf den Kopf zu stellen, und alles andere egal werden zu lassen. Liebe, die in der Lage ist Berge zu versetzen und bei der sofort klar ist: Das ist der oder die Eine. Genau so eine Liebe flammt zwischen Marie und Jan. Der Marie, die ihr Leben zuvor allein in der Universitätsbibliothek und mit ihrer Promotion verbracht hat und dem Jan, der am Meer aufgewachsen ist und Kunst studiert. Eine Liebe, die so tief geht, dass sie nicht in eine einfache Geschichte passt, so unendlich groß, tief und breit ist, dass es zehn Erzählungen braucht, um ihr auch nur annähernd gerecht zu werden.

Katharina Hartwell erzählt in ihrem neuesten Roman Das Fremde Meer die Geschichte von Marie und Jan. Vom ersten Aufeinandertreffen, dem langsamen Annähern, dem Kennenlernen der Familien und Freunde bis hin zu Eifersucht und Verlustängsten beschreibt sie die Entwicklung einer Liebe, die so unendlich stark ist, dass sie sich nicht durch ein paar einfache Sätze wiedergeben lässt. Als das Schicksal dem Glück ein jähes Ende bereitet, beginnt Marie damit zu beschreiben, wofür es eigentlich keine Worte gibt. Nichts soll unversucht bleiben, um durch "das fremde Meer" zu Jan durchzudringen:

 

"Ich werde dir ein Schiff schicken und einen Ritter, ich werde dir hundert Briefe schreiben und dich in einem Raum hinter den Spiegeln hören, gleich wie leise du sprichst, ich werde etwas in Bewegung setzen, ich werde dich in Bewegung setzen, ich werde tief tauchen und hoch aufsteigen, ich werde dich finden und zurückholen, du wirst sehen: Ich werde durch das Fremde Meer kommen."

 

Katharina Hartwell, 1984 in Köln geboren, studierte in Frankfurt a.M. Anglistik und Amerikanistik (mit Auszeichnung). Seit 2010 studiert sie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Im selben Jahr wurde auch ihr Erzählungsband Im Eisluftballon veröffentlicht. Für ihre Arbeit wurde sie bereits mit dem MDR-Literaturpreis ausgezeichnet und bekam Stipendien der Jürgen-Ponto-Stiftung und des Landes Hessen.

Mit Das Fremde Meer ist Katharina Hartwell ein Buch gelungen, welches weit mehr ist, als ein einfacher Roman mit nur einer linearen Handlung. Im Vordergrund steht klar die Geschichte von Marie und Jan, doch stecken in ihr zehn Erzählungen, die auf auf den ersten Blick zunächst völlig ohne Zusammenhang zum Rest des Werkes zu stehen scheinen. Klar gibt es Parallelen in den Texten, die Namen der Protagonisten beginnen meistens auch mit M und J und handeln vom Suchen und Finden der Liebe. Doch ansonsten sind sie komplett unterschiedlich: Geht es das eine Mal in die Salpêtrière, die Pariser Psychiatrie um 1887, geht es ein anderes Mal in den Winterwald, in dem eine gelangweilte Prinzessin sich auf die Suche macht, um ihren Prinzen zu befreien. Ob in Raumschiffen, auf einsamen Inseln am Meer oder in Science-Fiction-Umgebungen, Katharina Hartwells Fantasie erschafft völlig neue Welten. Jede einzelne Episode liefert eine abgeschlossene Story, die für sich selbst stehen kann, spannend ist und ihren eigenen Zauber hat. Auch wenn es zunächst nicht nachvollziehbar scheint, wie die Erzählungen mit der Rahmengeschichte zu einem in sich geschlossenen Ganzen zusammenpassen, setzt sich der Roman am Ende wie ein Puzzle zusammen und offenbart seine Brillanz. Neben der besonderen Struktur ihres Werkes überzeugt die Autorin darüber hinaus auch sprachlich. Einfühlsam und beinahe poetisch schafft sie es, die tiefe Liebe zwischen Marie und Jan durch Worte fühlbar zu machen ohne dabei kitschig oder rührselig zu werden: Direkt bei ihrem ersten Aufeinandertreffen hat Marie es gewusst,

 

"weil es sich anfühlte, als sei etwas in mir zerschmettert oder aufgeschlagen worden. Zu sagen, ich hätte mich verliebt, trifft es nicht. Mir ist das Englische lieber: to fall in love. Ich bin in die Liebe gefallen, ich bin in ihr untergegangen, bin versunken, mein Körper verschwand darin und alles, was ich gewesen war, was ich geglaubt hatte, über mich zu wissen."

 

Das Fremde Meer ist ein außergewöhnlicher Roman über eine außergewöhnliche Liebe, der sich nicht mit anderen Romanen vergleichen lässt, da er völlig anders ist und durch die eingearbeiteten Erzählungen etwas ganz Neues bietet. Auch wenn lange unklar bleibt, wie sich die vielen Einzelteile zu einem stimmigen Gesamtwerk zusammenfügen und sich mancher vielleicht wünschen würde, Hinweise auf die Bedeutung der Geschichten zu bekommen, fügt sich am Schluss alles zu einem runden Ganzen zusammen. Alles in allem ist es gerade das, was den Roman zu etwas Besonderem macht und ihn von der Masse abhebt, ihn spannend und geheimnisvoll macht. Ein absolut empfehlenswertes Buch für alle, die bereit für Ungewohntes sind und sich auf die Intensität des Werkes einlassen wollen!

Das fremde Meer

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